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Spurgeon, Charles Haddon – Die Annahme – Der Geist und der Schrei.

„Weil ihr denn Kinder seid, hat Gott gesandt den Geist seines Sohnes in eure Herzen, der
schreit: Abba, lieber Vater.“ Gal. 4,6 „Weil ihr denn Söhne seid, hat Gott gesandt den Geist seines Sohnes in eure Herzen, der schreit: Abba, Vater.“ (N. d. engl. Übers.)
Die Lehre von der Dreieinigkeit in der Einheit finden wir in der Schrift nicht in so ausdrücklichen Worten, wie im Athanasianischen Glaubensbekenntnis; aber diese Wahrheit wird beständig als ausgemacht angenommen, als wenn sie eine in der Gemeinde Gottes sehr bekannte Tatsache wäre. Wenn auch nicht sehr oft in bestimmten Worten ausgesprochen, wird sie doch überall vorausgesetzt und gelegentlich in Verbindung mit anderen Wahrheiten auf eine Weise erwähnt, die sie ebenso deutlich macht, als wenn sie durch eine bestimmte Formel ausgedrückt wäre. In vielen Stellen wird sie uns so klar vor Augen gestellt, daß wir vorsätzlich blind sein müssen, wenn wir sie nicht wahrnehmen würden. In dem vorliegenden Kapitel z. B. haben wir eine bestimmte Erwähnung jeder der drei göttlichen Personen. „Gott“, das ist der Vater, „hat den Geist gesandt“, das ist der Heilige Geist, und Er wird hier „der Geist seines Sohnes“ genannt. Auch haben wir nicht bloß die Namen, sondern jede der heiligen Personen wird als tätig bei dem Werk unseres Heils bezeichnet: seht im vierten Vers: „Gott sandte seinen Sohn“; dann beachtet den fünften, der davon spricht, daß der Sohn die, so unter dem Gesetz waren, erlöste; und dann offenbart unser Text den Geist, als den, der in die Herzen kommt und schreit: „Abba, lieber Vater“. Nun, da wir nicht nur die Nennung der verschiedenen Namen haben, sondern auch gewisse besondere Wirkungen, die jedem zugeschrieben werden, so ist es klar, daß wir hier die bestimmte Persönlichkeit eines jeden haben. Weder der Vater, noch der Sohn, noch der Heilige Geist kann nur ein Einfluß sein oder eine bloße Form des Daseins, denn jeder handelt in einer göttlichen Weise, hat aber eine besondere Sphäre und eine andere Art der
Wirksamkeit. Der Irrtum, eine der göttlichen Personen als einen bloßen Einfluß oder als Emanation (d. i. Ausfluß) zu betrachten, findet hauptsächlich in bezug auf den Heiligen Geist statt; aber die Unrichtigkeit dieser Meinung sieht man in den Worten „der schreit: Abba, lieber Vater;“ – ein Einfluß könnte nicht schreien, eine Person ist erforderlich, um dies zu tun. Obwohl wir die wunderbare Wahrheit der ungeteilten Einheit und der unterschiedenen Personen in der dreieinigen Gottheit nicht verstehen können, sehen wir sie dennoch in der Heiligen Schrift geoffenbart, und nehmen sie deshalb als eine Sache des Glaubens an. Die Göttlichkeit jeder dieser heiligen Personen geht auch aus dem Text und seinem Zusammenhang hervor. Wir bezweifeln nicht die Gottheit des Vaters, denn Er wird hier bestimmt „Gott“ genannt; zweimal ist der Vater augenscheinlich gemeint, wo das Wort „Gott“ gebraucht wird. Daß der Sohn Gott ist, wird vorausgesetzt, denn obgleich, seiner menschlichen Natur nach von einem Weibe geboren, wird Er als „gesandt“ beschrieben, und deshalb war Er bereits vorhanden, ehe Er gesandt und von einem Weibe geboren wurde; dies in Verbindung damit, daß Er der Sohn Gottes genannt und daß von seiner Fähigkeit zu erlösen gesprochen wird, sind für uns genügende Beweise seiner Göttlichkeit. Von dem Geiste wird gesagt,
daß Er tue, was nur Gott tun kann, nämlich, in den Herzen aller Gläubigen wohnen. In den Herzen einer Menge von Menschen zu schreien, ist keinem Wesen möglich, das nicht allgegenwärtig und deshalb göttlich ist. So daß wir in dem Umfang weniger Zeilen den Namen jeder göttlichen Person, die Wirksamkeit einer jeden, die Persönlichkeit einer jeden, und gewissermaßen die Gottheit einer jeden haben. Die, welche an den Herrn Jesus Christus glauben, wissen, wie notwendig die Mitwirkung der ganzen Dreieinigkeit zu unserm Heile ist, und freuen sich, die liebevolle Vereinigung aller drei in dem Befreiungswerk zu sehen. Wir verehren den Vater, ohne den wir nicht erwählt oder als Kinder angenommen wären: den Vater, der uns wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesus Christus von den Toten. Wir lieben und verehren den Sohn, durch dessen kostbares Blut wir erlöst worden und mit dem wir eins in einer geheimnisvollen und ewigen Verbindung sind: und wir lieben und beten an den Geist Gottes, denn Er ist es, durch den wir wiedergeboren, erleuchtet, lebendig gemacht, bewahrt und geheiligt sind; und Er ist es, durch den wir das Siegel und Zeugnis in unserem Herzen empfangen, durch das wir versichert werden, daß wir in Wahrheit Gottes Kinder sind. Wie Gott am Anfang sprach: „Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei,“ ebenso beratschlagen die göttlichen Personen und vereinen sich alle in der neuen Schöpfung des Gläubigen.
Wir dürfen nicht unterlassen, jede der erhabenen Personen zu loben, anzubeten und zu lieben, aber wir müssen uns fleißig in tiefster Ehrfurcht beugen vor dem einen Gott, Vater, Sohn und Heiligem Geist. „Ehre sei dem Vater und dem Sohne und dem Heiligen Geiste; wie es am Anfang war, jetzt ist und allezeit sein soll, in Ewigkeit. Amen.“ Nachdem wir diese sehr wichtige Tatsache beachtet haben, laßt uns zum Text selbst kommen, hoffend, daß wir uns der Lehre von der Dreieinigkeit freuen werden, während wir von unserer Annahme zur Kindschaft reden, an welchem Gnadenwunder jede der drei Personen einen Anteil hat. Möchten wir durch die Unterweisung des Heiligen Geistes in liebliche Gemeinschaft mit dem Vater durch seinen Sohn Jesus Christus gezogen werden zu seiner Ehre und zu unserm Nutzen.
Dreierlei ist in meinem Text sehr klar dargestellt: Das erste ist die Würde der Gläubigen -„ihr seid Kinder;“ das zweite ist die daraus folgende Innewohnung des Heiligen Geistes -„weil ihr denn Kinder seid, hat Gott gesandt den Geist seines Sohnes in eure Herzen;“ und das dritte ist der kindliche Schrei -„der schreit: Abba, lieber Vater.“

I.
Zuerst also die Würde der Gläubigen. Die Annahme gibt uns die Rechte der Kinder, die
Wiedergeburt gibt uns die Natur der Kinder: wir haben an diesen beiden Anteil, denn wir sind
Kinder. Und hier laßt uns bemerken, daß diese Kindschaft eine durch den Glauben empfangene
Gnadengabe ist. Wir sind von Natur nicht Kinder Gottes in dem hier gemeinten Sinne. Wir sind in einem Sinne „göttlichen Geschlechts“ von Natur, aber das ist sehr verschieden von der hier
beschriebenen Kindschaft, die das besondere Vorrecht der Wiedergeborenen ist. Die Juden erhoben den Anspruch, Gottes Kinder zu sein, aber da ihre Vorrechte ihnen durch die fleischliche Geburt zuteil wurden, so werden sie mit Ismael verglichen, der nach dem Fleisch geboren war, aber als Sohn der Magd ausgetrieben und gezwungen wurde, dem Sohne der Verheißung zu weichen. Wir haben eine Kindschaft, die uns nicht auf natürlichem Wege zuteil wird, denn wir sind „nicht von dem Geblüt, noch von dem Willen eines Mannes, sondern von Gott geboren.“ Unsere Kindschaft kommt durch die Verheißung, durch die Wirkung Gottes als besondere Gabe eines eigentümlichen Samens, den der Herr durch seine eigne unumschränkte Gnade sich ausgesondert hat, wie Er es bei Isaak getan hat. Diese Ehre und dieses Vorrecht werden uns nach dem Zusammenhang des Textes durch den Glauben zuteil. Beachtet wohl den 26. Vers des vorhergehenden Kapitels (Gal. 3, 26.)
„Denn ihr seid alle Gottes Kinder, durch den Glauben an Christus Jesus.“ Als Ungläubige wissen wir nichts von der Kindschaft. So lange wir als selbstgerecht unter dem Gesetz sind, wissen wir wohl von Knechtschaft etwas, aber nicht von Kindschaft. Erst nachdem wir zum Glauben gekommen sind, hören wir auf, unter dem Zuchtmeister zu sein und erheben uns aus unserer Unmündigkeit zu den Vorrechten der Kinder Gottes.
Der Glaube wirkt in uns den Geist der Kindschaft und das Bewußtsein, daß wir Gottes Kinder sind, zuerst dadurch, daß er uns die Rechtfertigung bringt. Vers 24 des vorigen Kapitels lautet: „Also ist das Gesetz unser Zuchtmeister gewesen auf Christus, daß wir durch den Glauben gerecht würden.“ Ein ungerechtfertigter Mensch steht als ein Verbrecher da, nicht als Kind; seine Sünde wird ihm zur Last gelegt, er wird als ungerecht betrachtet, wie er es in der Tat ist, und er ist deshalb ein Empörer gegen seinen König, nicht ein Kind, das seines Vaters Liebe genießt. Aber wenn der Glaube die reinigende Kraft des Versöhnungsblutes erkennt und die Gerechtigkeit Gottes in Christus Jesus ergreift, dann wird der Gerechtfertigte ein Kind Gottes. Rechtfertigung und Annahme gehen stets zusammen. „Welche Er aber berufen hat, die hat Er auch gerecht gemacht,“ und der Beruf ist ein Ruf zu des Vaters Hause und zur Anerkennung der Kindschaft. Glauben bringt Vergebung und Rechtfertigung durch unsern Herrn Jesus; er wirkt auch die Annahme, denn es steht geschrieben:
„Wie viele Ihn aber aufnahmen, denen gab Er Macht, Gottes Kinder zu werden, die an seinen
Namen glauben.“
Der Glaube bringt uns ferner zu einem Bewußtsein unserer Annahme, indem er uns frei von der
Knechtschaft des Gesetzes macht. „Nun aber der Glaube gekommen ist, sind wir nicht mehr unter dem Zuchtmeister.“ Als wir unter dem Sündenbewußtsein seufzten und darin wie in einem Kerker eingeschlossen waren, fürchteten wir, daß das Gesetz uns für unsere Missetaten strafen werde, und unser Leben wurde durch Furcht verbittert. Deshalb strebten wir in unserer blinden, selbstgenugsamen Art, das Gesetz zu halten, und das brachte uns in eine zweite Knechtschaft, die immer härter wurde, als Mißlingen auf Mißlingen folgte; wir sündigten und strauchelten immer mehr zu unserer Seele Verwirrung. Aber nun, da der Glaube gekommen ist, sehen wir das Gesetz in Christus erfüllt und uns selber in Ihm gerechtfertigt und angenommen: das verwandelt den Sklaven in ein Kind und die Pflicht in Wahl. Nun haben wir Freude am Gesetz, und durch die Macht des Gesetzes wandeln wir in Heiligkeit zur Ehre Gottes. So ist es, daß wir durch den Glauben an Jesus Moses, dem Zuchtmeister, entrinnen und zu Jesus, dem Heiland, kommen; wir hören auf, Gott als einen zornigen Richter zu betrachten, und sehen Ihn als unseren liebevollen Vater an. Das Regiment von Verdienst und Gebot, Strafe und Furcht, ist der Herrschaft der Gnade, Dankbarkeit und Liebe gewichen, und dieses neue Regierungsprinzip ist eins der großen Vorrechte der Kinder Gottes. Nun, mder Glaube ist das Merkmal der Annahme in allen, die ihn haben, wer sie auch sein mögen, denn „ihr alle seid Gottes Kinder durch den Glauben an Christus Jesus“ (Gal. 3, 26). Wenn du an Jesus glaubst, ob Jude oder Heide, Sklave oder Freier, so bist du ein Kind Gottes. Wenn du erst seit kurzem an Christus geglaubt hast, und nur seit den letzten paar Wochen imstande gewesen bist, dich auf seine große Errettung zu verlassen, so bist du doch jetzt ein Kind Gottes. Das ist kein späteres,
der vollen Sicherheit oder dem Wachstum in der Gnade gewährtes Vorrecht; es ist ein früher Segen, und gehört bereits dem, der das kleinste Maß von Glauben hat und erst ein Kindlein in der Gnade ist. Wenn ein Mensch an Jesus Christus glaubt, so ist sein Name in dem großen Register droben eingetragen, denn „ihr seid alle Gottes Kinder durch den Glauben an Christus Jesus.“ Aber wenn du keinen Glauben hast, einerlei, was für Eifer, was für Werke, was für Kenntnisse, was für Ansprüche auf Heiligkeit du besitzen magst, so bist du nichts und deine Religion ist eitel. Ohne Glauben an Christus bist du wie ein tönendes Erz und eine klingende Schelle, denn „ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen“. Der Glaube ist also, wo immer er gefunden wird, das unfehlbare Zeichen eines Kindes Gottes, und wo er fehlt, da ist der Anspruch darauf nichtig. Dies wird nach dem Apostel ferner durch unsere Taufe dargestellt, denn wenn in der Seele Glauben ist, so ist die Taufe ein offenes Anziehen des Herrn Jesus Christus. Lest den 27. Vers: „Denn wie viele euer getauft sind, die haben Christus angezogen.“ In der Taufe bekanntest du, für die Welt tot zu sein, und wurdest deshalb in den Namen Jesus begraben: und die Bedeutung dieses Begräbnisses, wenn es die rechte Bedeutung für dich hatte, war die: du bekanntest, daß du hinfort tot für alles andere außer Christus wärest, und daß fortan dein Leben in Ihm sein sollte, und du selber wie einer, der von den Toten zu einem neuen Leben auferstanden wäre.
Natürlich nützt die äußere Form dem Ungläubigen nichts, aber für den, der in Christus ist, ist die Handlung sehr lehrreich. Der Geist und das Wesen derselben liegen darin, daß die Seele in das Sinnbild eingeht, daß der Mensch nicht allein die Taufe im Wasser, sondern die Taufe im Heiligen Geist und im Feuer kennt: und so viele euer diese innere, geheimnisvolle Taufe in Christus kennen, die wissen auch, daß sie hinfort Christus angezogen haben und mit Ihm bedeckt sind, wie ein Mensch mit seinem Kleide. Fortan seid ihr eins mit Christus, ihr tragt seinen Namen, ihr lebt in Ihm, ihr seid errettet in Ihm, ihr seid ganz und gar sein. Nun, wenn ihr eins mit Christus seid, so seid ihr, da Er ein Sohn ist, auch Söhne. Wenn ihr Christus angezogen habt, so sieht Gott euch nicht in euch selber, sondern in Christus, und das, was Christus gehört, das gehört auch euch, denn wenn ihr Christus seid, so seid ihr Abrahams Samen und Erben nach der Verheißung. Wie der römische Jüngling, wenn Er mündig wurde, die Toga anlegte und Bürgerrecht erhielt, so ist das Anziehen Christi das Zeichen unserer Aufnahme in die Kindschaft Gottes. Damit sind wir tatsächlich zum Genuß unseres herrlichen Erbteils zugelassen. Jede Segnung des Gnadenbundes gehört denen, welche Christus sind, und jeder Gläubige steht in dieser Liste. So werden wir also nach dieser Schriftstelle angenommen durch den Glauben als die Gabe der Gnade.
Ferner, die Annahme wird uns durch die Erlösung zuteil. Lest die unserm Text vorhergehende
Stelle: „Da aber die Zeit erfüllet wurde, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einem Weibe und
unter das Gesetz getan, auf daß Er die, so unter dem Gesetz waren, erlöste, auf daß wir die
Kindschaft empfingen.“ Geliebte, schätzt die Erlösung hoch, und achtet niemals auf eine Lehre, welche ihre Bedeutung zerstören oder ihre Wichtigkeit geringer machen will. Gedenkt daran, daß ihr nicht mit Gold und Silber erlöst seid, sondern mit dem teuren Blute Christi als eines unbefleckten Lammes. Ihr waret unter dem Gesetz, und unter seinem Fluche, denn ihr hattet es schwer gebrochen und waret seiner Strafe verfallen, denn es steht geschrieben: „Welche Seele sündigt, die soll sterben;“ und: „Verflucht sei jedermann, der nicht bleibt in allem dem, das geschrieben steht in dem Buch des Gesetzes, daß Er es tue.“ Ihr waret auch unter dem Schrecken des Gesetzes, denn ihr fürchtetet seinen Zorn; und ihr waret unter seiner anreizenden Gewalt, denn oft, wenn das Gebot kam: „wurde die Sünde wieder lebendig, ihr aber starbt.“ Aber jetzt seid ihr von alledem erlöst; wie der Heilige Geist spricht: „Christus aber hat uns erlöst von dem Fluch des Gesetzes, da Er wurde ein Fluch für uns, denn es steht geschrieben: Verflucht ist jedermann, der am Holz hänget.“ Nun seid ihr nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade, und zwar, weil Christus unter das Gesetz kam und es sowohl durch seinen tätigen als durch seinen leidenden Gehorsam hielt, alle seine Gebote erfüllte und alle seine Strafen trug für euch, an eurer Stelle und Statt. Fortan seid ihr die Erlösten des Herrn, und genießt eine Freiheit, die auf keinem anderen Wege kommt als durch das ewige Lösegeld. Gedenkt daran; und wenn ihr sicher seid, daß ihr Kinder Gottes seid, so preist das erlösende Blut; wenn euer Herz am höchsten schlägt vor Liebe zu dem großen Vater, dann lobt den „Erstgeborenen unter vielen Brüdern,“ der um euretwillen unter das Gesetz kam, beschnitten wurde, das Gesetz in seinem Leben hielt und demselben sein Haupt im Tode beugte, es ehrte und verherrlichte und die Gerechtigkeit Gottes durch sein Leben sichtbarer
machte, als sie es durch die Heiligkeit der ganzen Menschheit geworden wäre, und durch seinen Tod ihr völliger genugtat, als wenn die ganze Welt der Sünder in die Hölle geworfen wäre. Ehre sei unserm erlösenden Herrn, durch den wir der Annahme teilhaftig wurden.
Auch lernen wir aus dem Text, daß wir jetzt das Vorrecht der Kindschaft genießen. Nach dem
Zusammenhang der Stelle meint der Apostel nicht nur, daß wir Kinder seien, sondern erwachsene Söhne. „Weil ihr denn Söhne seid,“ bedeutet weil die vom Vater bestimmte Zeit gekommen ist und ihr mündig seid, und nicht mehr unter Vormündern und Pflegern steht. In unserer Unmündigkeit waren wir unter dem Schulmeister, unter dem Regiment von Zeremonien, unter Vorbildern, Figuren, Schatten, und lernten unser ABC, indem wir von der Sünde überzeugt wurden; aber nun der Glaube gekommen ist, sind wir nicht mehr unter dem Schulmeister, sondern in einen freieren Zustand versetzt. Bis der Glaube kommt, sind wir unter Pflegern und Vormündern, wie bloße Knaben, aber nach dem Glauben nehmen wir unsere Rechte als Söhne Gottes in Besitz. Die alte jüdische Gemeinde war unter dem Joch des Gesetzes; ihre Opfer waren anhaltende und ihre Zeremonien endlos. Neumonde und Feste mußten gehalten, Jubeljahre mußten beobachtet und Pilgerreisen gemacht werden: in der Tat, das Joch war zu schwer zum Tragen für das schwache Fleisch. Das Gesetz folgte dem Israeliten in jeden Winkel und handelte mit ihm in jedem besonderen Fall: es hatte zu tun mit seinen Kleidern, seinem Essen, seinem Trinken, seinem Bett, seinem Gerät und allem um ihn: es behandelte ihn wie einen Schulknaben, der für alles eine Regel hat. Nun, da der Glaube gekommen ist, sind wir erwachsene Söhne, und deshalb frei von den Regeln, welche die Schule des Kindes beherrschen. Wir sind unter dem Gesetz Christus, eben wie der erwachsene Sohn noch unter der Zucht des Vaterhauses ist; aber dies ist ein Gesetz der Liebe und nicht der Furcht, der Gnade und nicht der Knechtschaft. „So besteht nun in der Freiheit, für die uns Christus befreit hat, und laßt euch nicht wiederum in das knechtische Joch fangen.“ Wendet euch nicht wieder zu den schwachen und dürftigen Satzungen einer bloß äußerlichen Religion, sondern haltet fest an der Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit, denn das ist die Freiheit der Kinder Gottes.
Nun, durch den Glauben sind wir nicht mehr den Sklaven gleich. Der Apostel sagt: „so lange der Erbe ein Kind ist, so ist zwischen ihm und einem Knecht (Sklaven) kein Unterschied, ob er wohl ein Herr ist aller Güter; sondern er ist unter den Vormündern und Pflegern bis auf die bestimmte Zeit vom Vater.“ Aber, Geliebte, jetzt seid ihr die Söhne Gottes und habt eure Mündigkeit erlangt: nun dürft ihr die Ehren und Segnungen des Vaterhauses genießen. Freut euch, daß der freie Geist in euch wohnt und euch zur Heiligkeit antreibt; dies ist eine weit höhere Macht als das bloße äußere Gebot und die Peitsche der Drohung. Nun seid ihr nicht mehr in der Knechtschaft der äußeren Formen und Gebräuche und Zeremonien; sondern der Geist Gottes lehrt euch alle Dinge und führt euch ein in den inneren Sinn und das Wesen der Wahrheit.
Nun also, sagt der Apostel, sind wir Erben. „Also ist nun hier kein Knecht mehr, sondern Söhne. Sind es aber Söhne, so sind es auch Erben.“ Kein lebender Mensch hat je völlig begriffen, was dies bedeutet. Gläubige sind in diesem Augenblicke Erben, aber was ist das Erbe? Es ist Gott selbst! Wir sind Erben Gottes! Nicht nur der Verheißungen, der Bundesverpflichtungen und all der Segnungen, welche dem erwählten Samen gehören, sondern Erben Gottes selber. „Der Herr ist mein Teil, spricht meine Seele.“ „Dieser Gott ist unser Gott immer und ewiglich.“ Wir erben nicht nur von Gott alles, was Er seinem Erstgeborenen gibt, sondern wir sind Erben Gottes selber. David sprach: „Der Herr ist mein Gut und mein Erbteil.“ Wie Er zu Abraham sprach: „Fürchte dich nicht, Abram; ich bin
dein Schild und dein sehr großer Lohn,“ so spricht Er zu jedem, der vom Geist geboren ist. Dies sind seine eignen Worte: „Ich will ihr Gott sein, und sie sollen mein Volk sein.“ Warum denn, o Gläubiger, bist du arm? Alle Reichtümer sind dein. Warum denn bist du traurig? Der ewig-selige Gott ist dein. Warum zitterst du? Die Allmacht wartet darauf, dir zu helfen. Warum hast du Mißtrauen? Seine Unveränderlichkeit wird bis ans Ende bei dir bleiben und die Verheißung fest machen. Alles ist dein, dein Christus ist dein, und Christus ist Gottes; und obgleich es einige Dinge gibt, die du jetzt noch nicht mit deiner Hand ergreifen oder mit deinem Auge sehen kannst, d. h. die Dinge, die für dich im Himmel aufbewahrt sind, so kannst du doch durch den Glauben auch dieser dich erfreuen, denn „Er hat uns samt Ihm auferweckt und samt Ihm in das himmlische Wesen versetzt, in Christus Jesus.“ Wir haben schon jetzt das Pfand des Himmels in der Einwohnung des Heiligen Geistes. O, was für Vorrechte gehören denen, welche die Söhne Gottes sind! Noch eins über diesen Punkt von der Würde des Gläubigen: wir fühlen schon eine der unausbleiblichen Folgen der Gotteskindschaft. Was sind diese? Eine derselben ist die Feindschaft der Kinder der Magd.
Kaum hatte der Apostel Paulus die Freiheit der Heiligen gepredigt, als sofort gewisse Lehrer
auftraten und sagten: „Das reicht nicht; ihr müßt euch beschneiden lassen, ihr müßt unters Gesetz kommen.“ Ihre Opposition war für Paulus ein Zeichen, daß er von der Freien war, denn siehe, die Kinder der Magd wählten ihn zur Zielscheibe ihrer giftigsten Feindschaft. Du wirst finden, lieber Bruder, wenn du Gemeinschaft mit Gott genießt, wenn du im Geist der Kindschaft lebst, wenn du dem Höchsten nahe gebracht bist, so daß du ein Mitglied der göttlichen Familie wurdest, so werden sofort alle, die unter der Gesetzes-Knechtschaft leben, mit dir zanken. So sagt der Apostel: „Aber so, wie zu der Zeit, der nach dem Fleisch geboren war, verfolgte den, der nach dem Geist geboren war, so geht es jetzt auch.“ Sara fand, daß das Kind der Magd über Isaak, das Kind der Verheißung, spottete. Ismael hätte gern seine Feindschaft durch Schläge und persönliche Angriffe gezeigt, aber es war eine höhere Macht da, die ihn im Zaum hielt, so daß er nichts weiter tun konnte, als „spotten.“ So ist es jetzt auch. Es hat Zeiten gegeben, wo die Feinde des Evangeliums sehr viel weiter gegangen sind, als bis zum Spotten, denn sie haben die Liebhaber des Evangeliums gefangennehmen und lebendig verbrennen können; aber jetzt, Gott sei Dank, sind wir unter seinem besonderen Schutze, was Leben, Gliedmaßen und Freiheit betrifft, und sind so sicher, wie Isaak in Abrahams Hause war. Sie können uns verspotten, aber sie können nicht weiter gehen, sonst würden einige von uns öffentlich an den Galgen gehängt werden. Aber das Leiden grausamen Spottes müssen wir noch immer ertragen, unsere Worte werden verdreht, unsere Meinungen entstellt, und man bezichtigt uns aller möglichen schrecklichen Dinge, Dinge, von denen wir gar nichts wissen; auf all dieses möchten wir mit Paulus erwidern: „Bin ich deshalb euer Feind geworden, weil ich
euch die Wahrheit sage?“ Dies ist die alte Weise der Hagarener, das Kind nach dem Fleisch tut
immer noch sein Bestes, den nach dem Geiste Geborenen zu verspotten. Seid nicht erstaunt und seid nicht im geringsten betrübt, wenn dies einem von euch begegnet, sondern laßt es euch zur Befestigung eures Vertrauens und zur Bestätigung eures Glaubens an Christus dienen, denn Er hat euch gesagt: „Wäret ihr von der Welt, so hätte die Welt das Ihre lieb; weil ihr aber nicht von der Welt seid, sondern ich euch von der Welt erwählt habe, darum haßt euch die Welt.“

II.
Unser zweiter Teil ist die daraus folgende Einwohnung des Heiligen Geistes in den Gläubigen; -„hat Gott gesandt den Geist des Sohnes in eure Herzen.“ Hier ist ein göttliches Tun des Vaters. Der Heilige Geist geht vom Vater und vom Sohne aus, und Gott hat Ihn in unsere Herzen gesandt. Hätte Er nur an eure Herzen angeklopft und um Erlaubnis gebeten, einzutreten, so wäre Er nie hereingekommen, aber da Jahwe Ihn sandte, so bahnte Er sich seinen Weg, ohne euren Willen zu vergewaltigen, aber dennoch mit unwiderstehlicher Kraft. Wohin Jahwe Ihn sendet, da wird Er bleiben und niemals wieder weggehen. Geliebte, ich habe keine Zeit, bei den Worten zu verweilen, aber ich möchte, daß ihr sie in euren Gedanken bewegt, denn sie enthalten eine große Tiefe. So gewiß wie Gott seinen Sohn in die Welt sandte, unter den Menschen zu wohnen, so daß seine Heiligen seine Herrlichkeit sahen, „eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit,“ so gewiß hat Gott seinen Geist gesandt, um in die Herzen der Menschen einzugehen, und dort Wohnung zu nehmen, damit auch in Ihm die Herrlichkeit Gottes geoffenbart würde. Lobt den Gott und betet Ihn an, der euch einen solchen Besucher gesandt hat.
Nun beachtet den Namen, unter dem der Heilige Geist zu uns kommt: er kommt als der Geist Jesu. Die Worte sind: „den Geist seines Sohnes,“ worunter nicht die Gesinnung und Gemütsart Christi zu verstehen ist, – obwohl das durchaus wahr wäre, denn Gott gewährt auch diese seinem Volke, – sondern der Heilige Geist. Warum wird Er denn der Geist seines Sohnes oder der Geist Jesu genannt? Dürfen wir nicht folgende Gründe dafür geben? Es war der Heilige Geist, durch den die menschliche Natur Christus von der Jungfrau geboren wurde. Der Geist war es, der von unserm Herrn bei seiner Taufe zeugte, als Er herabfuhr wie eine Taube und auf Ihm blieb. In Ihm wohnte der Heilige Geist ohne Maß, salbte Ihn zu seinem großen Werk, und durch den Geist wurde Er „gesalbet mit Freudenöl, mehr denn seine Gesellen.“ Der Geist
war auch mit Ihm und bekräftigte seine Tätigkeit durch Zeichen und Wunder. Der Heilige Geist ist unseres Herrn große Gabe an seine Gemeinde, es war nach seiner Himmelfahrt, als Er die
Pfingstgaben verlieh und der Heilige Geist auf die Jüngerschar herabkam, um auf immer bei dem Volke Gottes zu weilen. Der Heilige Geist ist der Geist Christi, weil Er auch Christi Zeuge
hienieden ist; denn „drei sind, die da zeugen: der Geist und das Wasser und das Blut.“ Aus diesen und vielen anderen Gründen wird Er „der Geist seines Sohnes“ genannt, und Er ist es, der kommt, um in den Gläubigen zu wohnen. Ich möchte in euch dringen, sehr ernst und dankbar die wunderbare Herablassung zu betrachten, die sich hier zeigt. Gott selbst, der Heilige Geist, nimmt seine Wohnung in den Gläubigen. Ich weiß nie, was das Wundervollste ist, die Menschwerdung Christi oder die Einwohnung des Heiligen Geistes. Jesus weilte hier eine Zeitlang im menschlichen Fleisch, unbefleckt von der Sünde, „heilig, unschuldig und von den Sündern abgesondert;“ aber der Heilige Geist wohnt beständig in den Herzen aller Gläubigen, obwohl sie noch unvollkommen und zum Bösen geneigt sind. Jahr für Jahr, Jahrhundert für Jahrhundert wohnt Er in den Heiligen und will damit fortfahren, bis alle Erwählten in der Herrlichkeit sind. Während wir den menschgewordenen Sohn anbeten, laßt uns auch den inwohnenden Geist anbeten, den der Vater gesandt hat. Nun beachtet den Ort, wo Er seine Wohnung nimmt.
„Gott hat gesandt den Geist seines Sohnes in eure Herzen.“ Bemerkt, daß es nicht heißt, in eure Köpfe und euer Gehirn. Der Geist Gottes erleuchtet ohne Zweifel den Verstand und leitet das Urteil, aber dies ist weder der Anfang noch der wesentlichste Teil seines Werkes. Er kommt hauptsächlich zu den Neigungen, Er wohnt im Herzen, denn mit dem Herzen glaubt der Mensch so, daß er gerecht wird, und „Gott hat den Geist seines Sohnes in eure Herzen gesandt.“ Nun, das Herz ist der Mittelpunkt unseres Wesens, und deshalb nimmt der Heilige Geist diesen geeignetsten Platz ein. Er kommt in die Zentralfestung und Hauptzitadelle unserer Natur und nimmt das Ganze in Besitz. Das Herz ist der Mittelpunkt unseres Wesens; wir nennen es den Hauptsitz des Lebens, und deshalb geht der Heilige Geist in dasselbe ein und wohnt als der lebendige Gott in dem lebendigen Herzen und nimmt Besitz von dem Kern und dem Mark unseres Lebens. Es ist das Herz, von welchem und durch welches das Leben sich ergießt. Das Blut wird durch die Bewegung des Herzens bis an die äußersten Teile des Körpers gesandt, und wenn der Geist Gottes von den Neigungen des Herzens Besitz nimmt, so wirkt Er auf jede Kraft und Fähigkeit und jeden Teil unseres ganzen Wesens. „Aus dem Herzen geht das Leben,“ und von den durch den Heiligen Geist geheiligten Neigungen empfangen alle anderen Fähigkeiten und Kräfte Erneuerung, Erleuchtung, Heiligung, Stärkung und schließlich Vollkommenheit.
Dieser wundervolle Segen ist unser, „weil wir Söhne sind;“ und ist begleitet von erstaunlichen
Resultaten. Die durch den innewohnenden Geist versiegelte Sohnschaft bringt uns Friede und
Freude; sie führt in die Nähe Gottes und zur Gemeinschaft mit Ihm; sie erregt Vertrauen, Liebe und heftiges Verlangen und erzeugt in uns Ehrfurcht, Gehorsam und wirkliche Ähnlichkeit mit Gott. All dieses, und viel mehr noch, weil der Heilige Geist gekommen ist, in uns zu wohnen. O,
unvergleichliches Geheimnis! Wäre es nicht geoffenbart, so wäre es uns nie in den Sinn gekommen, und da es nun geoffenbart ist, würden wir es nie glauben, wenn es nicht für die, welche in Christus Jesus sind, eine Sache tatsächlicher Erfahrung geworden wäre. Es gibt viele Namenchristen, die nichts davon wissen; sie hören uns an und werden ganz irre, als wenn wir ihnen eine alberne Fabel erzählten, denn der fleischliche Sinn kennt nicht die göttlichen Dinge, sie sind geistlich und können nur geistlich wahrgenommen werden. Diejenigen, die nicht Söhne sind, oder nur Söhne nach dem Gesetz der Natur wie Ismael, wissen nichts von dem inwohnenden Geiste und erheben die Waffen gegen uns, weil wir es wagen, ein so großes Gut in Anspruch zu nehmen; dennoch ist es unser, und keiner kann es uns rauben.

III.
Nun komme ich zu dem dritten Teil unseres Textes: der kindliche Schrei. Dies ist von großem
Interesse. Ich denke, es wird nützlich sein, wenn wir näher darauf eingehen. Wo der Heilige Geist hineinkommt, da ist ein Schrei: „Gott hat gesandt den Geist seines Sohnes, der schreit: Abba, lieber Vater.“ Nun beachtet, es ist der Geist Gottes, der schreit – eine sehr merkwürdige Tatsache. Manche sind geneigt, den Ausdruck als einen Hebraismus aufzufassen und zu lesen: „Er läßt uns schreien;“ aber, Geliebte, der Text sagt das nicht, und wir haben nicht die Freiheit, ihn unter solchem Vorwand zu ändern. Der Apostel sagt Röm. 8, 15: „Ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch welchen wir rufen: Abba, lieber Vater,“ aber hier beschreibt er den Geist selbst als den, der schreit:„Abba, lieber Vater.“
Wir sind gewiß: als er uns den Schrei: „Abba, lieber Vater“ zuschrieb, wünschte er nicht, den Schrei des Geistes auszuschließen, da er in dem 26. Verse des berühmten 8. Kapitels an die Römer sagt: „Desselbigengleichen auch der Geist hilft unserer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich’s gebührt; sondern der Geist selbst vertritt uns aufs beste mit unaussprechlichem Seufzen.“ So stellt er den Geist selbst dar als in dem Kinde Gottes seufzend mit unaussprechlichem Seufzen, hatte also beim Schreiben an die Römer denselben Gedanken im Sinn, den er hier an die Galater ausdrückt, – daß es der Geist selbst ist, der in uns schreit und seufzt: „Abba, lieber Vater.“ Wie ist dies? Sind wir es nicht selbst, die schreien? Ja, gewiß, und doch schreit der Geist auch. Die Ausdrücke sind beide richtig. Der Heilige Geist treibt zu dem Schrei und gibt ihn ein. Er legt den Schrei in das Herz und den Mund des Gläubigen. Es ist sein Schrei, weil Er ihn eingibt, ihn billigt und uns dahin leitet. Wir würden nie so geschrien haben, wenn Er uns nicht so gelehrt hätte. Wie eine Mutter ihr Kind sprechen lehrt, so legt Er diesen Schrei „Abba, lieber Vater“ in unsern Mund; ja, Er ist es, der in unsern Herzen das Verlangen nach unserm Vater, Gott, erweckt und erhält. Er ist der Geist der Kindschaft, und der Urheber des besonderen und bedeutsameren Schreies der Kindschaft.
Nicht nur treibt Er uns zum Schreien an, sondern wirkt in uns ein Gefühl der Bedürftigkeit, das uns zu schreien zwingt, und auch jenen Geist des Vertrauens, der uns kühn macht, eine solche
Verwandtschaft mit dem großen Gott zu beanspruchen. Doch ist dies nicht alles, denn Er steht uns in geheimnisvoller Art bei, so daß wir imstande sind, richtig zu beten; Er bringt göttliche Energie in uns hinein, so daß wir schreien: „Abba, lieber Vater,“ in einer Weise, die vor Gott annehmbar ist. Es gibt Zeiten, wo wir gar nicht schreien können, und dann schreit Er in uns. Es gibt Stunden, wo Zweifel und Befürchtungen so reichlich sind und uns so mit ihren Qualen ersticken, daß wir nicht einmal einen Schrei erheben können, und dann vertritt der in uns wohnende Geist uns und spricht für uns und schreit in unserem Namen und vertritt uns aufs beste. So steigt der Schrei: „Abba, lieber Vater,“ in unserem Herzen auf, selbst wenn wir ein Gefühl haben, als wenn wir nicht beten könnten und nicht wagen, uns für Kinder zu halten. Dann darf jeder sagen: „Ich lebe, doch nicht ich, sondern der Geist lebt in mir.“ Zu anderen Zeiten dagegen stimmt unsere Seele dem Schrei des Geistes so bei, daß er auch der unsere wird, aber dann erkennen wir mehr als je das Werk des Geistes an und schreiben Ihm den Schrei zu: „Abba, lieber Vater.“ Ich möchte, daß ihr etwas sehr Liebliches bei diesem Schrei beachtetet, nämlich, daß es buchstäblich der Schrei des Sohnes ist. Gott hat den Geist seines Sohnes in unsere Herzen gesandt, und dieser Geist schreit genau so, wie der Sohn es tat. Wenn ihr den 36. Vers im 14. Kapitel des Markus aufschlagt, so werdet ihr da finden, was ihr bei keinem anderen Evangelisten findet (denn Markus ist immer der Mann für die treffendsten Punkte und denkwürdigen Worte), daß unser Herr in Gethsemane betete: „Abba, mein Vater, es ist Dir alles möglich, überhebe mich dieses Kelches; doch nicht, was ich will, sondern was Du willst.“ So, daß dieser Schrei in uns den Schrei unseres Herrn buchstäblich nachahmt: „Abba, mein Vater.“ Nun, ich darf wohl annehmen, daß ihr diese Worte zu anderen Zeiten habt ausführlich erklären hören, und wenn das, dann wißt ihr, daß das erste Wort syrisch oder aramäisch ist; man kann im allgemeinen auch sagen, Abba ist das hebräische Wort für „Vater“. Das zweite Wort ist griechisch, das Wort der Heiden „pater“, was auch Vater bedeutet. Man hat gesagt, daß diese zwei Worte gebraucht sind, um uns daran zu erinnern, daß Juden und Heiden eins vor Gott sind. Sie erinnern uns daran, aber dies kann nicht der Hauptgrund für ihren Gebrauch gewesen sein. Meint ihr, daß unser Herr, als Er in dem Seelenkampf in Gethsemane war, gesagt hätte: „Abba, Vater,“ weil Juden und Heiden eins sind? Warum sollte Er an diese Lehre gedacht und warum sie im Gebet vor seinem Vater erwähnt haben? Irgend ein anderer Grund muß Ihm das eingegeben haben. Mir scheint, daß unser Herr „Abba“ sagte, weil es seine Muttersprache war. Wenn ein Franzose, der Englisch gelernt hat, betet, mag er für gewöhnlich auf englisch beten, aber wenn er je in eine Todesangst gerät, so wird er auf französisch beten, wenn er überhaupt betet. Unsere Brüder in Wales sagen uns, daß keine Sprache der walisischen gleichkommt – ich glaube, es ist so für sie; sie werden in ihren gewöhnlichen Geschäften englisch sprechen, und sie können auf englisch beten, wenn alles gut mit ihnen steht, aber ich bin gewiß, wenn ein Walliser mit großer Inbrunst betet, so flieht er zu seinem Walisischen, um vollen Ausdruck
zu finden. Unser Herr gebraucht in seinem Todeskampf seine Muttersprache, und als einer vom Samen Abrahams Geborener ruft Er in seiner eigenen Zunge: „Abba.“ Ebenso, meine Brüder, werden wir durch den Geist der Kindschaft getrieben, unsere eigne Sprache zu gebrauchen, die Sprache des Herzens, und frei mit dem Herrn in unserer eignen Zunge reden. Außerdem ist nach meinem Gefühl das Wort „Abba“ von allen Worten in allen Sprachen das natürlichste Wort für Vater. Ich muß versuchen, es so auszusprechen, daß ihr die natürliche Kindlichkeit dieses Wortes seht: „Ab-ba,“ „Ab-ba.“ Ist es nicht gerade das, was eure Kinder sagen, ab, ab, ba, ba, sobald sie zu sprechen versuchen? Es ist das ein Wort, das jedes Kind sagen würde, ob es ein hebräisches, griechisches, französisches oder englisches wäre. Deshalb ist Abba ein Wort, das der Einführung in alle Sprachen würdig ist. Es ist in Wahrheit eines Kindes Wort, und unser Herr fühlte ohne Zweifel in seinem Todeskampf eine Liebe für Kinderworte. Dr. Guthrie sagte, als er im Sterben lag: „singt mir ein Lied,“ aber er fügte hinzu: „singt mir ein Kinderlied.“ Wenn’s mit einem Menschen zum Sterben geht, so will er wieder ein Kind sein und verlangt nach Kinderliedern und Kinderworten.
Unser Herr gebraucht in seinem Todeskampf das Kindeswort „Abba“, und es ist in dem Munde
eines jeden von uns ebenso geziemend. Ich denke, dieses süße Wort „Abba“ wurde gewählt, uns zu zeigen, das wir sehr natürlich vor Gott sein sollen, nicht stelzenhaft und steif. Wir sollen sehr liebevoll sein und Ihm nahe kommen und nicht bloß sagen: „Pater“, was ein kaltes, griechisches Wort ist, sondern „Abba“, was ein warmes, natürliches, liebevolles Wort ist, passend für einen, der ein kleines Kind vor Gott ist und die Kühnheit hat, an seinem Busen zu liegen, in sein Angesicht zu blicken und mit heiliger Kühnheit zu sprechen. „Abba“ ist kein eigentliches Wort, sondern das Lispeln eines Kindleins. O, wie nahe sind wir Gott, wenn wir solche Sprache gebrauchen können! Wie teuer ist Er uns und wie teuer sind wir Ihm, wenn wir Ihn so anreden können, wie der große Sohn selber: „Abba, mein Vater!“
Dies führt mich zu der Bemerkung, daß dieser Schrei in unsern Herzen außerordentlich nahe und vertraulich ist. An dem Klang desselben habe ich euch gezeigt, daß er kindlich ist, aber der Ton und die Art des Aussprechens ist ebenso. Beachtet, daß es ein Schrei ist. Wenn wir bei einem König Audienz erhalten, so schreien wir nicht, wir sprechen dann in abgemessenem Ton und wohlgesetzter Rede. Aber der Geist Gottes bricht unsere Abgemessenheit in Stücke und nimmt die Formalität hinweg, die manche so sehr bewundern, Er bringt uns dahin, zu schreien, was das grade Gegenteil von Formalität und Steifheit ist. Wenn wir schreien, so schreien wir „Abba“: selbst unsere Schreie sind voll von dem Geist der Kindschaft. Ein Schrei ist ein Ton, von dem wir nicht eben wünschen, daß jeder Vorübergehende ihn höre; doch welchem Kind macht es etwas aus, wenn sein Vater es schreien hört? Wenn unser Herz zerbrochen und bezwungen ist, haben wir nicht das Gefühl, als könnten wir schöne Worte gebrauchen, aber der Geist in uns bringt Schreie und Seufzer hervor, und derselben schämen wir uns nicht, und fürchten uns nicht, vor Gott zu schreien. Ich weiß, einige von euch meinen, Gott werde ihre Gebete nicht hören, weil sie nicht so beten können, wie der und der Prediger. O, aber der Geist seines Sohnes schreit, und ihr könnt nichts Besseres tun, als auch schreien. Seid zufrieden damit, gebrochene Worte, die mit eurem Kummer gesalzen, mit euren Tränen benetzt sind, vor Gott zu bringen. Geht mit einer heiligen Vertraulichkeit zu Ihm, und seid
nicht bange, in seiner Gegenwart, „Abba, mein Vater,“ zu schreien.
Aber dann, wie ernst ist er: denn ein Schrei ist etwas Kräftiges. Das Wort schließt Inbrunst ein. Ein Schrei ist keine leichtfertige Äußerung, keine bloße Sache der Lippen; er kommt aus der Seele herauf. Hat der Herr uns nicht gelehrt, im Gebet zu Ihm zu schreien mit heißem Ungestüm, das kein Nein annehmen will? Hat Er uns nicht so nahe zu sich gebracht, daß wir zuweilen sagen: „Ich lasse Dich nicht, Du segnest mich denn.“ Hat Er uns nicht gelehrt, so zu beten, daß seine Jünger von uns fast sagen könnten, wie sie vor alters von einer Frau sagten: „Laß sie doch von Dir, denn sie schreit uns nach.“ Wir schreien nach Ihm, unser Herz und unser Fleisch schreit nach Gott, nach dem lebendigen Gott, und dies ist der Schrei: „Abba, lieber Vater, ich muß Dich kennen, ich muß Deine Liebe schmecken, ich muß unter Deinen Flügeln wohnen, ich muß Dein Angesicht schauen, ich muß fühlen, wie Dein großes Vaterherz überfließt und mein Herz mit Frieden füllt.“ Wir schreien: „Abba, Vater!“
Ich werde schließen, wenn ich noch bemerkt habe, daß das meiste dieser Art Schreiens im Herzen bleibt und nicht auf die Lippen kommt. Wie Moses schreien wir, ohne ein Wort zu sagen (2 Mose 14, 15). Gott hat den Geist seines Sohnes in unsere Herzen gesandt, durch den wir schreien: „Abba, Vater.“ Ihr wißt, was ich meine: nicht nur in eurem kleinen Zimmer, an dem alten Armstuhl ist es, wo ihr zu Gott schreit, sondern ihr ruft „Abba, Vater,“ während ihr auf der Straße geht oder in der Werkstatt arbeitet. Der Geist seines Sohnes schreit „Abba, Vater,“ wenn ihr im Gedränge von Menschen seid, oder an eurem Tische inmitten eurer Familie. Ich sehe, es wird als eine schwere Anklage gegen mich vorgebracht, daß ich spreche, als wenn ich mit Gott vertraulich wäre. Wenn es so ist, so will ich kühn sagen, daß ich nur so spreche, wie ich fühle. Gelobt sei der Name meines himmlischen Vaters, ich weiß, ich bin sein Kind, und mit wem sollte ein Kind vertraulich sein, wenn nicht mit seinem Vater? O ihr, denen der lebendige Gott fremd ist, wisset: wenn dies schlecht ist, so will ich noch schlechter werden, sofern Er mir hilft, noch mehr in seiner Nähe zu wandeln.
Wir fühlen eine tiefe Ehrfurcht vor unserem Vater im Himmel, die uns in den Staub beugt, aber
dennoch können wir sagen: „wahrlich, unsere Gemeinschaft ist mit dem Vater und mit seinem
Sohne Jesus Christus“ (1 Joh. 1, 3 n. d. engl. Übers.).
Kein Fremder kann verstehen, wie nahe die Seele des Gläubigen Gott in Jesus Christus ist, und weil die Welt es nicht verstehen kann, so findet sie es bequem, zu höhnen; aber was macht das aus?
Abrahams Zärtlichkeit für Isaak machte den Ismael eifersüchtig und ließ ihn lachen, aber Isaak
hatte keinen Grund, sich der Verspottung zu schämen, denn der Spötter konnte ihm nicht den
Bundessegen rauben. Ja, Geliebte, der Geist Gottes läßt euch schreien: „Abba, Vater,“ aber der
Schrei ist meistens in eurem Herzen, und da wird er so häufig ausgestoßen, daß es die Gewohnheit eurer Seele wird, zu eurem himmlischen Vater zu schreien. Der Text sagt nicht, daß er geschrien hat, sondern daß er jeden Tag schreit: „Abba, Vater.“ Geht heim, meine Brüder, und lebt in dem Geist der Sohnschaft. Wacht am Morgen auf und laßt euren ersten Gedanken sein: „Mein Vater, mein Vater, sei heute mit mir.“ Geht ins Geschäft, und wenn ihr in Verlegenheit kommt, laßt dies eure Zuflucht sein: „Mein Vater, hilf mir in dieser Stunde der Not.“ Wenn ihr heimkehrt und dort häusliche Sorgen findet, laßt euren Schrei immer noch sein: „Hilf mir, mein Vater.“ Wenn allein, so seid ihr nicht allein, denn der Vater ist bei euch; und mitten im Gedränge seid ihr nicht in Gefahr, denn Er selbst, der Vater, hat euch lieb. Was für ein teures Wort ist dies: „Er selbst, der Vater, hat euch lieb!“ Geht hin und lebt als seine Kinder. Seht zu, daß ihr Ihn ehrt, denn wenn Er ein Vater ist, wo ist seine Ehre? Geht hin und gehorcht Ihm, denn das ist recht. Seid Nachfolger Gottes als liebe Kinder. Geht hin und lebt vor Ihm, denn ihr sollt bald bei Ihm leben. Geht hin und freut euch in Ihm. Geht hin und werft alle eure Sorge auf Ihn. Geht hin, und was immer die Menschen an euch sehen, mögen sie gezwungen sein, anzuerkennen, daß ihr die Kinder des Höchsten seid. „Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ Mögt ihr solche fortan und auf ewig sein.
Amen und Amen.