Das Wunder von Karfreitag –
Jemanden den schwarzen Peter zuschieben
Andreas Latossek, Kirche am Bahnhof, Frankenberg
Das Video zur Predigt finden Sie hier.

 

 

Zum Predigttext (Matthäus 28)

Es gibt eine ganze Reihe Sprichwörter im Deutschen, die auf das Geschehen rund um Karfreitag und Ostern zurückgehen. In den letzten Jahren haben wir unter anderem über „sich die Hände in Unschuld waschen“ und „jemanden auf etwas festnageln“ gesprochen. Heute möchte ich gerne ein weiteres Sprichwort betrachten, nämlich „jemanden den schwarzen Peter zuschieben“.
Das ist ja heute vom Sprachgebrauch schon etwas schwierig, aber es geht eigentlich um ein Kartenspiel, das im Hessischen auch als Schafskopf bekannt ist. Wer von euch kennt das noch? Sind so ein paar. Ich kann das mal kurz erklären. Das war ein Kartenspiel, wo man Karten verdeckt gezogen hat und hatte man ein Paar, dann hat man das vor sich abgelegt. Allerdings hatte nicht der gewonnen, der die meisten Paare hatte, sondern es gab eigentlich nur einen Verlierer, nämlich der, der am Ende die Karte mit dem schwarzen Peter hatte. Und hat man das Spiel richtig gespielt, dann wurde dem Verlierer am Ende sogar noch ein schwarzer Strich über die Nase gemalt. Das nennt man dann wohl :jemanden anschwärzen“.
Auch das ist ja heute eher etwas schwierig zu sagen. Das alles ist eigentlich nicht schön, sondern eher fies. Man versucht sich gegenseitig den schwarzen Peter zuzuschieben. Das bedeutet dafür zu sorgen, dass man selber nicht in einem schlechten Licht steht, sondern man könnte es so übertragen, dass Probleme, Verantwortung und Versagen eben nicht an mir, sondern an anderen hängen bleiben. Ein Spiel, klar, aber dieses Spielprinzip ist, glaube ich, tief in unserer Gesellschaft verwurzelt und oft gar nicht spielerisch. Wenn etwas schief läuft, wenn Schuld im Raum steht, ist oft die erste Reaktion, ich war es nicht. Und dann beginnt die Suche nach dem Schuldigen. Jemand anders muss es ja gewesen sein. Hauptsache ich bin raus. Man versucht die Schuld, Verantwortung, Versagen abzuschieben, denn Schuld fühlt sich nicht gut an. Man hat ja ein schlechtes Gewissen und ganz ehrlich, die Wahrheit über mich selber sieht doch manchmal ganz schön bitter aus. Ich müsste ja zugeben, dass ich mich falsch verhalte. Wie stehe ich denn dann vor anderen da? Ich will doch mein Gesicht nicht verlieren.  Andere Wege, wie wir mit Schuld umgehen sind:  uns zu vergleichen oder die Schuld klein zu reden, sie schön zu reden, sie zu erklären, sie zu verdrängen oder sie wieder gut zu machen.

Auch in der Bibel gibt es solche Momente und eine der bekanntesten ist die Verleugnung von Petrus. Wir haben gerade eben davon gelesen und genau daher stammt auch unser Sprichwort. Und Karfreitag ist der Tag, an dem wir uns daran erinnern, dass Jesus gestorben ist für unsere Schuld. Und auch dafür, dass wir so oft versuchen, den schwarzen Peter anderen zuzuschieben. Petrus, einer von Jesu engsten Vertrauten war der Fels, wie Jesus ihn nannte. Er war derjenige, der aufs Wasser ging, der Jesus als Messias bekannte, der bei allem immer vorne mit dabei war. Und dann kam die Nacht. Jesus wird verhaftet, die Lage wird brenzlig, Angst liegt in der Luft und Petrus, der Fels, bröckelt. Im Hof des Hohepriesters steht er und wird dreimal gefragt, ob er nicht auch zu Jesus gehört und dreimal sagt er, ich kenne ihn nicht. Und die letzte Verleugnung ist besonders scharf, da heißt es, er begann sich selber zu verfluchen. Petrus, der noch zuvor gesagt hatte, wenn alle dich verlassen, ich nicht. Er hat versucht, den schwarzen Peter einfach weiterzugeben. Ich? Nein, der da ist schuld. Ich habe mit dem nichts zu tun. Er verleugnet nicht nur Jesus, er verleugnet auch sich selbst. Seine Überzeugung, seine Beziehung, seine Wahrheit.

Schwarzer Peter, das ist das Prinzip dieser Welt. Und in gewisser Weise steht dieser Petrus für uns alle. Wer hat nicht schon mal versucht, sich aus der Verantwortung zu stehlen? Wer hat nicht schon mal die Schuld auf andere geschoben, um selber gut dazustehen? Vielleicht war es ein Kollege, ein Familienmitglied, ein Mitschüler oder einfach die Umstände. Wer hat nicht schon versucht Schuld  klein zu reden, sie schön zu reden, zu erklären, sie zu verdrängen, sie wieder gut zu machen. Dieses Prinzip Schwarzer Peter ist tief in uns verankert. In Beziehungen, wenn du nicht so gewesen wärst, hätte ich das nicht getan. In der Gesellschaft, die da oben sind schuld. In uns selber. Ich konnte doch nichts dafür. Doch Karfreitag stellt dieses Prinzip radikal auf den Kopf.
Karfreitag ist der Tag, an dem wir sehen, was passiert, wenn einer nicht den schwarzen Peter weiterreicht, sondern ihn freiwillig nimmt. Jesus hätte fliehen können. Er hätte sich rechtfertigen können, sich verteidigen, seine Unschuld betonen können, jederzeit vom Kreuz heruntersteigen. Aber er sagt nichts. Er tut nichts, er nimmt alles auf sich. In Jesaja 53 lesen wir, er trug unsere Krankheit, er lud auf sich unsere Schmerzen. Wir meinten, er sei von Gott geschlagen, doch er wurde durchbohrt wegen unserer Schuld.

Jesus nimmt den schwarzen Peter, obwohl er der Einzige war, der ihn nicht verdient hat. Denn er war der Einzige ohne jegliche Schuld. Er stirbt nicht wegen seiner Schuld, sondern wegen unserer. Er trägt das, was wir nicht tragen können. Er bleibt, wo wir fliehen. Er bekennt, wo wir verleugnen und er vergibt, wo wir anklagen.

Für Petrus muss das die dunkelste Nacht in seinem Leben gewesen sein. Die Erinnerung an seinen Verrat, das Krähen des Hahns, der Blick Jesu, all das nagte an ihm. Er hatte versagt und er wusste es und er konnte es nicht rückgängig machen. Aber die Geschichte endet nicht im Hof des Hohepriesters. Nach Ostern begegnet Jesus Petrus wieder am See Genezareth. Er spricht ihn an als Simon, nicht als Petrus der Fels, von dem Petrus vielleicht dachte, so müsste er sein, in der Rolle, die Jesus ihm dazu gesprochen hatte. Nein, Simon. Jesus ist nicht interessiert an deiner Rolle, er ist interessiert an dir als Mensch. Und Jesus fragt ihn dreimal, liebst du mich? Dreimal. Genau wie die Verleugnung. Nicht als Strafe. nicht als Vorwurf, sondern als Wiederherstellung.

Jesus setzt Petrus nicht auf die Anklagebank. Er hält ihm keine Predigt über seinen Versagen. Er macht ihm keinen Vorwurf, kein einziges Wort. Er begegnet ihm mit Liebe, mit Gnade und mit einem neuen Auftrag: „weide meine Schafe“.

Aber dieser Fels, er musste zuerst geknackt werden, um zu merken, dass Petrus nicht auf seine eigenen Fähigkeiten, sondern auf die Liebe und Gnade Jesu und seine Stärke bauen konnte. Nur so wurde Petrus wirklich tragfähig für andere und gnädig mit sich und anderen. Das alles ist keine billige Vergebung, sondern es ist Vergebung mit Tiefgang. Petrus weiß genau, was er getan hat. Aber noch mehr lernt er, wer Jesus wirklich ist:
Nämlich der, der unsere Schuld kennt und sie trotzdem vergibt. Der, der bleibt, auch wenn wir fliehen. Der, der nachgeht, auch wenn wir für uns keinen Weg mehr sehen. Der, der den schwarzen Peter nimmt, damit wir frei sein können. Der, der uns liebt, auch wenn wir versagen, ihn vermeintlich enttäuschen und seine Liebe mit Füßen treten.

Karfreitag lädt uns ein, ehrlich zu werden, nicht den schwarzen Peter weiterzuschieben, nicht unsere Fehler zu kaschieren oder unsere Schuld kleinzureden, sondern sie zu Jesus zu bringen ans Kreuz. Jesus hat unsere Schuld getragen, auch deine, auch meine.

Das Kreuz ist kein Ort der Anklage sondern ein Ort der Befreiung.

Petrus zeigt uns, dass unser Versagen nicht das Ende ist. Jesus kennt all das und er fragt dich auch heute Morgen, liebst du mich? Liebst du mich? Liebst du mich? Keine Anklage, eine Einladung: zur Beziehung, zur Heilung, zum Neuanfang.

Karfreitag ist kein Tag für schöne Worte. Es ist ein Tag für Wahrheit, für die Wahrheit über uns und über Gott. Ja, wir sind Sünder. Ja, wir haben den schwarzen Peter, aber Jesus hat ihn uns abgenommen und deshalb dürfen wir aufhören, ihn weiterzureichen. Wir dürfen bekennen, loslassen und empfangen, wie Petrus. Und dann mit dieser Kraft der Vergebung wieder aufstehen, wieder anfangen, wieder lieben, wieder aufeinander zugehen, uns gegenseitig um Vergebung bitten und uns gegenseitig vergeben und so einander auch wieder in die Augen schauen. Wir dürfen ehrlich zu unserer Schuld, unserem Versagen und unseren Fehlern stehen, gerade auch hier in der Gemeinde, weil wir geliebte Sünder sind und weil wir uns so gegenseitig helfen und ermutigen können, auf dem Weg zu bleiben und auf dem Weg zu sein. Auf dem Weg gemeinsam Jesus nach, anstatt einsam zu sein, weil wir einander etwas vormachen und denken, wir müssten alleine kämpfen.

Wir können gnädig und wohlwollend miteinander sein weil wir wissen da ist jemand gnädig mit uns.

Wenn wir unsere Sünden bekennen, dann erweist Gott sich als treu und gerecht, lesen wir im ersten Johannesbrief 1,9. Er vergibt uns unsere Sünden und reinigt uns von allem Unrecht, das wir begangen haben. Wenn wir behaupten, wir hätten nicht gesündigt, machen wir Gott zum Lügner und geben seinem Wort keinen Raum in unserem Leben.

Das ist das Wunder von Karfreitag:

Die Schuld, die uns trennt, wurde überwunden. Der Tod, der uns schreckt, wurde besiegt und der, den wir verleugnet haben, liebt uns noch immer.

Es gibt eine andere Geschichte in der Bibel. Eine Sünderin kommt zu Jesus, sie wäscht ihm die Füße und die Pharisäer sitzen rundherum und schauen auf diese Frau voller Verachtung, aber sie sieht nur Jesus und Jesus lässt es zu und er ehrt sie und er spricht ihr zu, dass wem viel vergeben wird, der liebt viel. Deshalb ist es gut, uns vergeben zu lassen und uns das bewusst zu machen. Anspruch nehmen mit unserer Schuld heute an Karfreitag. Aber nicht nur heute, jeden Tag aufs Neue. Aber heute vielleicht ganz bewusst zu ihm zu kommen, bevor wir gleich auch das Abendmahl feiern. Unsere Schuld ihm zu bekennen und ihm abzugeben. Wir dürfen uns dafür vor Augen halten, wie sehr er uns liebt, dass er diesen Weg voller Leiden und Schmerzen ans Kreuz gegangen und für uns gestorben ist. Er hat es für uns getan. Das können wir uns ganz neu bewusst machen und ihm dafür die Ehre geben. Und ich wünsche dir jetzt, wie Petrus oder diese Frau, dass du während der nächsten Lieder nur Jesus vor Augen hast. Jesus und dich. Wie du zu ihm kommst, egal was all die anderen um dich herum tun. Ich lade dich ein, geh auf ihn zu, innerlich. Schau in seine Augen, komm mit deiner Schuld und erlebe, wie er dich liebt und dir vergibt.

Und so segne dich der Herr und behüte dich. Erlasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig. Und er erhebe sein Angesicht auf dich und schenke dir seinen Frieden.

Amen.

 

Siehe auch: Wer ist Jesus?
Alle Bibeltexte mit freundlicher Genemigung: ERF Bibelserver.com