Von Jurek Schulz
Keine andere Stadt findet, neben Jerusalem, so häufig Erwähnung im Neuen Testament wie Kapernaum.
Sechzehn Mal kommt das am Nordwestufer des Sees Genezareth gelegene Fischerstädtchen, das wahrscheinlich in persischer Zeit (5. Jh. v. Chr.) errichtet wurde, dort vor. Es war die zweite Heimat von Jesus und nicht nur gelegentliche Zwischenstation auf der Durchreise (Mk. 2,1; Mt. 4,12-17). In Matthäus 9,1 lesen wir, dass Jesus in „seine“ Stadt kam. Historische Quellen belegen, dass man das Bürgerrecht erst nach zwölfmonatigem Aufenthalt erwerben konnte. So ist davon auszugehen, dass Jesus dieses tatsächlich besaß, wenn er sie so bezeichnete.
Da die Stadt auf der Grenze zwischen dem Herrschaftsgebiet von Philippus und Herodes Antipas lag, besaß sie eine Zollstation, an der der spätere Apostel Matthäus als Beamter tätig war (Mt. 9,9; Mk. 2,14). Doch auch eine römische Truppenabteilung war dort stationiert. Laut Lukas 7,5 ließ deren Hauptmann in Kapernaum für die jüdische Bevölkerung eine Synagoge errichten.
Die Evangelien berichten von einer faszinierenden Vielzahl von Wundern, die Jesus an diesem Ort vollbrachte: Er heilte einen Gelähmten (Mk. 2,3ff.), einen Besessenen (Mk. 1,21ff.) und die Schwiegermutter des Petrus (Mk. 1,29ff.), um nur ein paar Beispiele zu nennen. Aber auch die große Rede vom Brot des Lebens hielt er in der Synagoge von Kapernaum (Joh. 6,22ff.). Damit erfüllte sich Jesaja 8,23, dass es im „Galiläa der Heiden“ nicht dunkel bleiben würde, denn der ganze galiläische Raum wurde vom Licht Jesu erhellt.
Bedrückend
Im Jahre 1894 konnte der Franziskaner-Orden ein großes Ruinenfeld erwerben, auf dem „Kapernaum“ identifiziert wurde. Der Archäologe Orfali fügte zwischen 1911 und 1921 die Überreste einer Synagoge aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. zusammen. Sie war 24 Meter lang und 18 Meter breit. Anders als heute üblich, war sie in Süd-Nord-Richtung erbaut und überaus reich an Skulpturen und Reliefs-, wie dem siebenarmigen Leuchter, dem Davidstern oder der Bundeslade auf einem Wagen.
Doch dann ging 1980 die Sensationsmeldung um die archäologische Welt. Die neutestamentliche Synagoge Jesu war gefunden worden, und zwar direkt unter der Kalksteinsynagoge. Was war geschehen? Es wird gemeinhin angenommen, dass nahezu alle Kalksteinsynagogen in Galiläa der Regierungszeit von Theodosius I (397-395 n. Chr.) entstammen. Die Synagogen Galiläas- aus der Zeit Jesu waren jedoch in der Regel Basaltsteinsynagogen. Nach der Zerstörung Jerusalems und des gesamten- Landes durch die Römer (66-70 n. Chr.) war es nach jüdischer Tradition üblich, eine neue Synagoge auf dem Fundament einer früheren zu errichten. So ist es archäologisch gesichert, dass die Basalt-Fundamente der Kalksteinsynagoge tatsächlich aus der Zeit Jesu stammen. (Die unterschiedlichen Steinarten sind auf unserem Titelbild deutlich erkennbar.)
Bestärkt
Verwunderung lösten Schrifttexte im Mörtel des „Petrus-Hauses“, eines freigelegten Wohnhauses, aus: Gebete und Anrufungen des Namens Jesu, auch der Name Petrus kam vor – daher die Bezeichnung des Gebäudes. Ebenso fanden sich überall in den Häusern jüdische und christliche Symbole. Der Benediktinerarchäologe Bargil Pixner fand eine bemerkenswerte Erklärung dafür: In Kapernaum kam es zu einer Symbiose von rabbinischen und jesusgläubigen Juden, die die gleiche Synagoge besuchten. Darüber hinaus diente das „Petrus-Haus“ als Versammlungsort für Abendmahlsfeiern.
Wie kam Pixner zu diesem Schluss? Im 4. Jahrhundert n. Chr. durften sich keine Nichtjuden in Kapernaum niederlassen. Dennoch bestätigen rabbinische Quellen, dass in jener Zeit Jesusgläubige in Kapernaum lebten. So liegt die Vermutung nahe, dass es jesusgläubige Juden waren, die die Erinnerung an Jesu Wirken durch die Beteiligung am Bau dieser Synagoge und eines Andachtsraumes über dem Petrus-Haus aufrecht hielten.
„Kapernaum“ heißt auf Hebräisch „Kfar Nachum“, was „Dorf des Nahum“ bedeutet. Ob damit der Prophet Nahum gemeint ist, wissen wir heute nicht mehr. Sei es, wie es sei, dieser Ort erinnert mich regelmäßig an die wunderbare Verheißung in Nahum 1,7: „Der Herr ist gütig und eine feste Burg zur Zeit der Not. Er kennt die, die auf ihn trauen.“
Quelle: Amzi