Spurgeon, Charles Haddon – Der Charakter des Volkes Gottes
„Sie sind nicht von der Welt, gleichwie ich auch nicht von der Welt bin.“ Joh. 17,16
Das Gebet Christi war für ein besonderes Volk. Er legte nicht eine allgemeine Fürbitte bei seinem Vater ein. „Ich bitte für sie,“ sagte er, „ich bitte nicht für die Welt, sondern für die, welche du mir gegeben hast, denn sie sind dein.“ Beim Durchlesen dieses herrlichen Gebetes entsteht die Frage:
Wer sind die gesegneten Leute, denen die Gebete des Heilands gelten, deren Namen auf dem Brustschildlein des ewigen Hohepriesters eingeschrieben sind, und deren Eigenschaften und Verhältnisse von ihm vor dem Thron Gottes erwähnt werden? Unser Text gibt uns die Antwort auf diese Frage: Das Volk, für das Christus betet, ist ein Volk, das nicht von dieser Erde ist; es ist ein Volk, das über der Welt steht und von ihr ganz verschieden ist. „Sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin.“
Ich will nun diesen Text aus einem dreifachen Gesichtspunkt betrachten:
1. Wir sehen zuerst auf die Lehre, welche in diesen Worten enthalten ist.
Die Lehre unserer Textesworte ist die, daß das Volk Gottes ein Volk ist, das nicht von der Welt ist, wie auch Christus nicht von der Welt war. Es handelt sich weniger darum, daß sie nicht in der Welt, als vielmehr darum, daß sie nicht von der Welt sind, wie auch Christus nicht von der Welt war. Dies ist ein wichtiger Unterschied, denn es gibt manche Menschen, die nicht von der Welt sind, aber dennoch keine wahren Christen sind. Unter diese gehören die Gefühlsmenschen, die immer auf gefühlvolle und erkünstelte Weise schreien und seufzen. Ihr Geist ist so erhaben, ihr Wesen so zart, daß sie ihrer täglichen Arbeit nicht obliegen können. Sie würden es eher für eine Erniedrigung ihrer geistlichen Natur halten, irgend etwas zu besorgen, was mit der Welt im Zusammenhang steht. Sie leben viel in der Luft, von Romanen und Märchen; sie lesen gerne Schriften, welche ihren Augen Tränen entlocken; sie würden am liebsten immer in einer Hütte bei einem Wald oder in einer ruhigen Höhle wohnen, denn sie meinen, sie seien nicht von der Welt. Aber im Grunde sind sie zu schwach und weichlich, um dem Treiben dieser geschäftigen Welt widerstehen zu können. Sie sind so vorzüglich gut, daß ihnen die Geduld ausgeht, zu handeln, wie wir armen Menschen handeln. Ich habe von einer jungen Frau gehört, die sich für so geistlich gesinnt hielt, daß sie nicht mehr arbeiten wollte. Ein sehr weiser Prediger sagte ihr: „Das ist sehr sonderbar! Sie sind so ins Geistliche versenkt, daß sie nicht arbeiten können? Gut, dann sollen sie auch nicht essen, wenn sie nicht arbeiten.“ Diese Worte brachten sie ab von ihrer Übergeistlichkeit. Manche Leute nähren sich von diesem törichten Gefühlswesen. Sie lesen Bücher, die ihr Gehirn einnehmen, und dann bilden sie sich ein, daß sie noch eine hohe Bestimmung in dieser Welt haben. Aber diese Leute sind doch keine wahren Christen und gehören noch lange nicht zum Volke Gottes, das nicht von der Welt ist, wie auch Christus nicht von der Welt war.
Ebensowenig gehören die Mönche zum Volk Gottes, die auch nicht von der Welt sein wollen und sich durch besondere Kleidung und besondere Übungen von den gewöhnlichen Menschen zu unterscheiden suchen. Aber auch in der protestantischen Kirche legen manche ein besonderes Gewicht auf die Kleidung, die Gebärden, die Aussprache und Töne, den Gang und die Haltung ihres Körpers und ihres ganzen Wesens, womit sie zeigen wollen, daß sie nicht von der Welt sind, aber doch im Grunde zur Welt, wenigstens zur heuchlerischen und eigenliebigen Welt gehören. Das alles unterscheidet uns noch nicht gründlich von der Welt, und der Charakter des Volkes Gottes besteht ganz und gar nicht in diesen Dingen. Wollen wir nicht von der Welt sein, so müssen wir den Unterschied von ihr nicht in so unbedeutenden Dingen, sondern in allem dem suchen, wodurch Jesus Christus, der Gottes- und Menschensohn, der unser Vorbild ist, sich von der Welt unterschieden hat. Christus aber war nicht von der Welt, weder seiner Natur, noch seinem Amte, noch seinem Charakter nach.
Christus war nicht von der Welt seiner Natur nach. Seiner göttlichen Natur nach war er vollkommen und rein und konnte deshalb nichts mit den Dingen der Erde und der Sünde gemein haben; seine menschliche Natur war zwar von einem Menschen, von der Jungfrau Maria, durch den Heiligen Geist empfangen und geboren, aber sie war eben deshalb so rein und heilig, daß nichts Weltliches in ihr Platz gewinnen konnte. Wir alle aber werden mit weltlichem Wesen, das in unseren Herzen steckt, geboren. Daher sagt Salomo auch: „Torheit steckt dem Knaben im Herzen.“ (Spr. 22,6).Es steckt, liegt, sitzt fest im Herzen und ist nicht leicht zu entfernen. Erdensinn und Fleischlichkeit steckt in unserer Natur von Jugend auf. So war es nicht bei Christus. Seine Natur war nicht weltlich und fleischlich, obwohl er als ein wahrhaftiger Mensch bei den Menschen saß und mit ihnen redete. Er stand neben einem Pharisäer, aber jedermann konnte sehen, daß Christus nicht von der Welt der Pharisäer war. Er saß bei dem samaritischen Weibe und redete frei und offen mit ihr, aber wer sieht nicht, daß er nicht von der Welt des samaritischen Weibes – daß er kein Sünder war, wie sie? Er saß bei den Zöllnern und Sündern zu Tische, aß mit ihnen; aber aus seinen heiligen Reden, Handlungen und Gebärden konnte man leicht erkennen, daß er nicht von der Welt der Zöllner und Sünder war, obwohl er Umgang mit ihnen hatte. Es war etwas so Verschiedenes und Besonderes in seiner Natur, daß man in der ganzen Welt keine einzige Person fand, die man neben ihn hätte stellen und sagen können: „Sieh! Er ist von der Welt dieses Menschen!“ Ja, sogar Johannes, der an der Brust Jesu lag und viel vom Geiste des Herrn besaß, war nicht ganz von der Welt, zu der Jesus gehörte; denn er sprach einst im Zorn: „Wir wollen Feuer vom Himmel fallen lassen über unsere Feinde!“ (Luk. 9,54), eine Sache, die der sanftmütige Jesus nicht geschehen lassen konnte. Dadurch bewies er eben, daß er weit über die Welt, selbst die des Johannes, erhaben sei.
Nun, Geliebte, in gewissem Sinn ist auch der Christ seiner Natur nach nicht von der Welt. Ich meine nicht seiner gefallenen und verderbten Natur, sondern seiner neuen Natur nach. Es ist in einem Christen etwas, was völlig verschieden ist von jedem unwiedergeborenen Menschen. Manche Menschen glauben, der Unterschied zwischen einem Christen und einem Weltmenschen bestehe darin, daß der eine am Sonntag zweimal in die Kirche geht, der andere aber nur einmal oder vielleicht gar nicht; daß der eine zum heiligen Abendmahl geht, der andere nicht; der eine heilige Dinge hoch hält, der andere sie gering schätzt. Aber das macht einen Christen noch nicht aus. Der Unterschied zwischen einem Christen und einem Weltmenschen ist kein äußerer, sondern ein innerlicher. Der Unterschied besteht in der Natur, und nicht bloß in den äußeren Handlungen; er erfordert sowohl eine Reinigung der Herzens als auch der Hand. Ein Christ ist vom Weltkind so verschieden wie eine Taube von einem Raben oder ein Lamm von einem Löwen. Er ist seiner Natur nach nicht von der Welt. Man kann ihn vielleicht zum Abfall verleiten, aber man kann ihn nicht zu einem unwiedergeborenen Sünder machen, wie er es vorher war. Er ist seiner Natur nach nicht von dieser Welt. Er ist ein Mann von zweifacher Geburt; in seinen Adern läuft das Blut des Herrschers der Welt; er ist ein Edelmann, ein vom Himmel geborenes Kind. Seiner Freiheit ist nicht bloß eine erkaufte, sondern eine durch die Neugeburt erlangte. Er ist gezeugt zu einer lebendigen Hoffnung,
und durch diese neue Geburt ist er neu geschaffen, so daß er wesentlich und wurzelmäßig von der Welt verschieden ist. Ich habe hier in dieser Kirche Leute, die sehr von einander verschieden sind.
Manche sind sehr verständig und weise, andere sind sehr unwissend; einige sind reich, andere ganz arm; aber ich rede jetzt nicht von diesen Unterschieden, die verschwinden vor dem einen großen Unterschied – geistlich oder fleischlich, tot oder lebendig, Christ oder Weltmensch. Wenn ihr zu Gottes Volk gehört, so seid ihr nicht von der Welt eurer Natur nach, wie auch Christus nicht von der Welt war.
Ferner: Ihr seid nicht von der Welt eurem Berufe nach. Christi Beruf hatte nichts mit weltlichen Dingen zu tun. Ihm mochte gesagt werden: „So bist du denn ein König?“ Ja; ich bin ein König, aber mein Reich ist nicht von dieser Welt. „Bist du ein Priester?“ Ja, ich bin ein Priester; aber mein Priestertum wird nicht aufhören, wie das bei anderen geschehen ist. „Bist du ein Lehrer?“ Ja; aber meine Lehren sind nicht bloß Sittenlehren, die sich einfach auf das irdische Verhalten zwischen Menschen und Menschen beziehen; meine Lehre kommt vom Himmel. So war Christus nicht von der Welt. Sein Amt und Beruf war nicht weltlich, sein Ziel war nicht im Geringsten fleischlich. Er suchte nicht seinen eigenen Beifall, Ruhm und Ehre; seine Arbeit war nicht von dieser Welt.
Und nun, du gläubiger Christ, was ist dein Beruf? Du bist ein Priester des Herrn, deines Gottes; du sollst täglich die Opfer des Gebetes und des Dankes darbringen. Deine himmlische Berufung fordert von dir, daß du ein Priester für deinen Gott bist. Du sollst das Salz der Erde sein, eine Stadt auf dem Berge, ein Licht, das nicht unter dem Scheffel steht. Das ist deine Aufgabe, ob du ein Prediger oder Laie bist, der äußeren Stellung nach. Du bist deiner himmlischen Natur und Beschäftigung nach nicht von der Welt, wie auch Christus nicht von der Welt war.
Ferner: Christen sind nicht von dieser Welt ihrem Charakter nach. Dies ist der Hauptpunkt, in dem Christus nicht von der Welt war. Und gerade in diesem Punkt muß ich viele Christen ernstlich zurechtweisen, weil sie nicht entschieden genug beweisen, daß sie nicht von der Welt sind ihrem Charakter, ihrem Leben und ihrer Handlungsweise nach. O, wie viele versammeln sich um den Tisch des Herrn beim Abendmahl, und leben doch nicht wie ihr Herr und Meister! Manche halten es mit unserer Kirche, und doch wandeln sie nicht würdig ihres Berufes und Bekenntnisses, denn sie sind von der Welt und handeln nach der Welt. Geliebte Zuhörer! Ich fürchte, manche von euch sind weltlich, fleischlich und habsüchtig; und doch haltet ihr es mit der Kirche und mit dem Volk Gottes auf heuchlerische Weise. O, ihr übertünchten Gräber! Ihr wollt auch die Auserwählten täuschen! Ihr reinigt das Äußere der Becher und Schüsseln, aber euer Inneres ist voll Unsauberkeit. O, daß eine Donnerstimme in eure Ohren eindringen und euch sagen möchte: „Die, die Christus liebt, sind nicht von der Welt!“; aber ihr seid von der Welt – deshalb könnt ihr nicht sein Volk sein, obwohl ihr vorgebt, zu ihm zu gehören. Seht den Charakter Jesu an – wie verschieden war er von dem der übrigen Menschen – wie rein, wie vollkommen und heilig. So sollte das Leben der Gläubigen sein.
Ich will damit nicht behaupten, daß es für einen Christen möglich sei, in diesem Leben ganz sündlos zu werden und zu handeln, aber das muß ich behaupten, daß die Gnade Menschen macht, die von Anderen unterschieden sind, ja, daß das Volk Gottes von anderen Leuten verschieden sein muß. Ein Knecht Gottes wird überall ein Gottes-Mensch sein. Als Arzt kann er sich nicht die Betrügereien erlauben, die andere begehen bei der Zubereitung der Arzneistoffe; als Gewürzhändler wird er keine Schlehenblätter mit Tee vermischen; und in jedem anderen Geschäft wird er sich nicht herbeilassen, die Kunstgriffe und Ränke anzuwenden, die man gewöhnlich „Geschäftsmethoden“ nennt. Bei ihm gilt nicht, was man sonst „Geschäft“ nennt, ihm gilt nur das Gesetz Gottes; er fühlt, daß er nicht von der Welt ist, daher muß er gegen die Gebräuche und Grundsätze der Welt handeln. Als einst ein Quäker sich in der Themse badete, rief ihm ein Fährmann zu: „Ha! Da ist ein Quäker!“ Dieser fragte: „Woher weißt du, daß ich ein Quäker bin?“ Jener antwortete: „Weil du gegen den Strom schwimmst, wie die Quäker immer zu tun gewohnt sind.“ Das ist der Weg, wie die Christen immer handeln sollten – gegen den Strom schwimmen. Das Volk des Herrn sollte nicht mit den andern gehen in dem Wesen dieser Welt. Ihr Charakter sollte sichtbar verschieden sein. Ihr solltet solche Leute sein, daß eure Mitmenschen euch ohne Schwierigkeit erkennen könnten und sagen: „Das ist ein Christ!“ Es war ein Unglück für die Welt, als die Kinder Gottes und die Töchter der Menschen sich vermischten, und es ist noch heute ein Unglück, wenn Christen und Weltleute sich so
vermischen, daß man den Unterschied zwischen beiden nicht erkennen kann. Gott errette uns von dem Feuer, daß uns deshalb verzehren könnte!
Geliebte! Ein Christ muß immer von der Welt unterschieden sein; und wenn er lebt, wie er soll, so wird er nicht viel Liebe von ihr genießen, sondern er wird als ein Eindringling und Fremder, den die Weltbewohner nicht brauchen, behandelt werden. Dies ist eine große Lehre, die sich in den kommenden Jahrhunderten ebenso bewahrheiten wird, wie sie sich in den vergangenen Zeiten bewahrheitet hat. Sehen wir in die Geschichte zurück, so finden wir: „Sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin.“ Wir sehen die Christen vertrieben und eingeschlossen in den unterirdischen Höhlen von Rom; wir sehen sie umhergejagt wie Rebhühner, und wo wir in der Geschichte Knechte Gottes finden, da erkennen wir sie an ihrem unterschiedenen und unveränderlichen Charakter – sie waren nicht von der Welt, sondern ein Volk, zerrissen und mit Narben bedeckt; ein Volk, ganz verschieden von den Nationen der Erde. Und wo es zu unserer Zeit kein unterschiedenes Volk gibt, wo keine Menschen sind, die sich von denen unterscheiden, unter denen sie wohnen, da gibt es auch keine Christen. Denn Christen müssen allezeit von der Welt verschieden sein. Sie sind nicht von der Welt, wie auch Christus nicht von der Welt ist. Dies ist die Lehre.
II. Verstehen wir diese Lehre auch aus unserer Erfahrung heraus?
Geliebte! Fühlen wir auch diese Wahrheit? Ist sie uns je ins Herz gedrungen? Haben wir es je gefühlt, daß wir nicht aus der Welt sind? Vielleicht sitzt einer hier, der sagt: „Ich kann nicht sagen, daß ich fühle, ich sei nicht von der Welt, denn ich komme gerade aus meiner Werkstatt, und das Weltwesen hängt mir noch an.“ Ein anderer sagt: „Ich fürchte, ich bin noch von der Welt, ich kann nicht sagen, daß ich fühle, von der Welt unterschieden zu sein.“ Aber, Geliebte, wir müssen nicht zu schnell urteilen und uns wegen vorübergehender Gefühle verdammen oder uns für verloren halten, weil wir gerade den Ort der Kinder Gottes nicht unterscheiden können.. Es gibt immer gewisse Augenblicke der Prüfung, wo die Natur dieses oder jenes Menschen sich offenbart. Zwei Personen reisen miteinander, ein Teil ihres Weges ist gemeinschaftlich. Wie kann man wissen, welcher von ihnen rechts und welcher links ziehen wird? Antwort: Man sieht es, wenn sie an den Wendepunkt kommen. Nun, hier in der Kirche ist kein Wendepunkt, denn ihr sitzt da mit weltlichen Leuten zusammen, aber zu anderen Zeiten kann man den Unterschied wohl sehen.
Laßt mich euch den einen oder anderen Wendepunkt nennen, wo ein Christ fühlen wird, daß er nicht von der Welt ist. Ein Wendepunkt ist, wenn er in sehr große Not kommt. Wenn uns der Trost der Kreatur entzogen wird, oder wenn irgend eine Wohltat verwelkt ist, wie der Kürbis des Jonas: dann fühlt der Christ, daß er nicht von der Welt ist. Sein Mantel wird ihm entrissen, und der kalte Wind zieht durch ihn hindurch; da ruft er aus: „Ich bin ein Pilgrim in dieser Welt, wie alle meine Väter. Herr, du bist die Zuflucht für und für.“ Tiefe Leiden sind also Augenblicke der Prüfung.
Wenn der Ofen recht heiß ist, so kann man das Gold am besten prüfen. Hast du in einer solchen Zeit recht gefühlt, daß du nicht von der Welt bist? Oder hast du dich hingesetzt und klagend ausgerufen: „O, ich verdiene diese Züchtigung nicht!“ Bist du unter ihr zusammengebrochen und hast deinen Meister ins Angesicht gesegnet? Oder hat sich dein Geist unter der Last erhoben und sich zu ihm gewendet und bei ihm Hilfe gesucht? Oder bist du in Verzweiflung liegen geblieben? Wenn es das ist, so denke ich, du hast an deinem Christentum zu zweifeln. Wenn du aber im Glauben an den, der die Welt überwunden hat, deine Trübsal überwinden kannst, dann glaube ich, daß du nicht von der Welt bist.
Ein zweites Prüfungsmittel ist das Glück. Manche Kinder Gottes sind durch das Glück mehr geprüft worden als durch das Unglück. Es ist eine gefährliche Sache, wenn man in glücklichen Umständen ist. Du mußt Gott nicht nur bitten, daß er dir in der Welt hilft, sondern auch, wenn es dir gut geht. Der Prediger Whitfield las einmal in der Kirche folgende Bitte vor: „Die Versammlung wird ersucht, für einen jungen Mann zu beten, der ein ungeheures Vermögen geerbt hat und der fühlt, daß er viel Gnade braucht, die ihn in der Demut erhält bei seinem Reichtum.“ Ein solches Gebet ist nötig, denn es ist schwer, das Glück zu ertragen. Wenn alles nach Wunsch geht, wenn man Ehre, Reichtum und Ansehen hat, so ist es nicht leicht, zu sagen:
„Alles dieses kann mich nicht vergnügen, gib mir Christum, oder ich bleib‘ sterbend liegen.“
Fühlst du, daß diese Güter nur Blätter des Baumes sind, von denen du nicht leben kannst? Fühlst du, daß es nur Hülsen sind? Oder setzt du dich nieder und sagst: „Nun, liebe Seele, sei ruhig; du hast jetzt Güter für viele Jahre; iß und trink, und sei guten Mutes!“ Wenn du dem reichen Narren nachahmst, so bist du noch von der Welt; wenn du dich aber über dein Glück erheben und im Umgang mit Gott bleiben kannst, so beweist du, daß du ein Kind Gottes bist, denn du bist nicht von der Welt. Glück und Unglück sind also Prüfungsmittel.
Ferner: Du kannst dich prüfen in der Einsamkeit und in der Gesellschaft. Du kannst es leicht entdecken in der Einsamkeit, ob du von oder nicht von der Welt bist. Wenn du mit Gott und seinem Wort umgehst, wenn du immer an ihn denkst, zu ihm betest, ihn suchst, einen Drang nach Vereinigung mit ihm fühlst und allein deine Arbeit vor seinem Angesicht verrichtest, kurz, wenn du in seiner Gegenwart wandelst, so kannst du erkennen, ob du von der Welt bist oder nicht. Der Weltmensch wandelt nicht vor Gott.
Noch mehr kannst du in der Gesellschaft der Menschen deinen wahren Charakter kennen lernen. Du wirst z.B. zu einer Abendgesellschaft eingeladen – allerlei Ergötzlichkeiten werden veranstaltet, die nicht gerade sündlich sind, aber die doch gewiß nicht fromme Vergnügungen genannt werden können. Du sitzt da mit den anderen Menschen; vieles wird geredet, gegen das du nicht gerade protestieren magst. Alles ist vergnügt gewesen, die Freunde haben dir alle Freundlichkeit bewiesen – und doch, wenn du fort bist, bist du geneigt, zu sagen: „Ach, das tut sich nicht für mich; ich wollte lieber in einer Gebetsversammlung sein; ich wollte lieber in einer armseligen Hütte mit dem Volk Gottes zusammen sein als in den schönen Zimmern mit all den Leckerbissen und Köstlichkeiten, die man hat ohne den Umgang mit Jesu. Mit Gottes Gnade will ich alle diese Plätze meiden, so viel wie möglich.“ Dies ist ein gutes Prüfungsmittel, das dir zeigt, ob du nicht von der Welt bist. Und so gibt es noch viele andere Mittel, die ich nicht alle erwähnen kann. Hast du diese Mittel aus Erfahrung kennen gelernt, und kannst du sagen: „Ich weiß, ich bin nicht von der Welt, ich fühle und erfahre es!“ Lehre ist wohl gut, aber Erfahrung ist besser und beruhigt und erbaut.
III. Laßt mich von dem Gesagten die Anwendung auf euch machen.
Ihr, die ihr von der Welt seid, deren Grundsätze, Sitten, Gewohnheiten, Betragen, Gefühle weltlich und fleischlich sind, hört meine Rede: Euer Reden und Rühmen von der Religion ist eitel wie ein Traum, der beim Erwachen vergeht. Ihr macht euch zwar ein Vergnügen daraus, die Religion, wie ein geschmücktes Kleid, zur Schau zu tragen, als ein Treibpferd zu eurem weltlichen Geschäft, ja, als ein Netz zu gebrauchen, mit dem ihr nach der Ehre der Menschen trachtet, aber ihr seid ganz weltlich, wie andere Menschen. Aber ich sage euch, wenn es keinen Unterschied zwischen euch und den weltlich-gesinnten Menschen gibt, so wird das Los dieser Menschen auch euer Los sein. Wenn man euch beobachten und bewachen würde, so würde man zwischen euch und euren nächsten Nachbarn keinen Unterschied finden, da beide gleich weltlich gesinnt sind und zwischen euch und der Welt kein Unterschied ist. Wenn du aber wie die übrige Welt bist, so bist du auch von der Welt, so bist du von den Böcken, die einst zur Linken stehen und verdammt werden; du bist nicht von den Schafen Jesu, die durch ihren Sinn und Wandel immer von den Böcken unterschieden werden können. O, ihr weltlichen Leute, ihr fleischlichen Bekenner, die ihr euch in Massen in unseren Kirchen versammelt und ihr Plätze füllt, laßt mich es euch feierlich und mit blutigen Tränen sagen, daß ihr mit all eurem Bekenntnis „voll bitterer Galle und verknüpft mit Ungerechtigkeit“ seid (Apg. 8,23); denn ihr handelt wie andere und werdet dahin gelangen, wo andere hinkommen; und es soll euch widerfahren, was anderen Erben der Hölle widerfahren wird.
Hört eine Geschichte: Einer alten Sitte gemäß durfte ein Prediger in einem Gasthaus übernachten und nichts bezahlen für Kost und Wohnung; und wenn er umherging, um von Ort zu Ort zu predigen, durfte er auch nichts bezahlen für das Gefährt, in dem er fuhr. Eines Abends kam ein Prediger in ein Gasthaus, wo er übernachtete. Der Wirt beobachtete ihn, aber hörte ihn nicht beten. Als der Geistliche des Morgens in das Zimmer kam, legte der Wirt ihm die Rechnung vor. „O!“ sagte der Prediger, „ich werde sie nicht bezahlen, denn ich bin ein Geistlicher.“ „Ja!“ sagte der Wirt, „Sie sind letzte Nacht wie ein Sünder zu Bett gegangen, und nun müssen sie diesen Morgen auch zahlen wie ein Sünder.“ So wird es vielen von uns gehen, wenn sie vor dem Richterstuhl Gottes kommen. Obwohl sie sich für Christen ausgegeben haben, haben sie doch wie Sünder gehandelt und werden auch wie Sünder behandeltm werden. Ihre Taten waren ungerecht; sie waren entfremdet von Gott; und nun müssen sie auch das Los mit denen teilen, deren Charakter dem ihrigen gleich war. Irret euch nicht, Gott läßt sich nicht spotten; was der Mensch sät, daß wird er ernten.
Und nun will ich euch, den wahren Kindern Gottes, die hier sein mögen, noch eine Warnung geben.
Lieber Bruder, hast nicht du und ich dich oft der Welt gleich gestellt? Reden wir nicht oft in der Unterhaltung zu sehr wie die Fleischlichen? Reden wir nicht viele unnütze Worte? Geben wir nicht oft dem Feind Anlaß zu lästern, weil wir nicht so von der Welt verschieden und geschieden sind, wie wir sollten? Komm, Bruder, wir wollen unsere Sünden bekennen. Sind wir nicht zu weltlich gewesen? Wie? Wenn wir denn doch nicht des Heilands Eigentum wären? O Gott! Bringe uns zurecht und leite uns auf rechter Straße! Es ist bedenklich, daß viele von uns im Umgang so leichtfertig, leer und kalt sind. Ein Prediger hatte einst in einem Dorf sehr ernst und eindringlich gepredigt. In der Versammlung war ein junger Mann, dem die Predigt zu Herzen ging, und der von seinem Sündenverderben überzeugt wurde. Er suchte deshalb den Prediger auf, als er aus der Kirche kam, in der Hoffnung, mit ihm nach Hause zu reisen. Sie wanderten zusammen, bis sie zu dem Haus eines Freundes kamen. Auf dem Weg sprach der Prediger von allem, nur nicht von dem Gegenstand, über den er sehr ernsthaft und sogar mit Tränen in den Augen gepredigt hatte. Der junge Mann dachte in seinem Herzen: „O! Wenn ich doch mein Herz ausleeren und mit ihm reden könnte; aber ich kann nicht. Er spricht jetzt nichts von dem, was er auf der Kanzel vorgebracht hat.“
Als sie zur Nacht speisten, war die Unterhaltung gar nicht, was sie sein sollte, und der Geistliche äußerte sich in allerlei Scherzen und leichtfertigen Reden. Der junge Mann war in das Haus eingetreten mit Augen voll Tränen und mit dem Gefühl, das ein armer Sünder haben soll; aber jetzt, nachdem er das Haus verlassen hatte und die Unterhaltung zu Ende war, stampfte er mit seinem Fuß auf den Boden und sagte: „Es ist alles Lüge von Anfang bis zum Ende. Dieser Mann hat wie ein Engel gepredigt, und jetzt hat er geredet wie ein Teufel.“ Einige Jahre später wurde der junge Mann krank und sandte nach dem Prediger, der ihn nicht erkannte. „Erinnern sie sich, daß sie einst in einem Dorf gepredigt haben?“ sagte der junge Mann. „Ja!“ erwiderte der Prediger. „Ihr Text ging mir sehr zu Herzen.“ „Gott sei Dank dafür!“ sagte der Geistliche. „Danken sie Gott nicht zu schnell,“ sagte der junge Mann, „wissen sie noch, wovon sie sprachen an dem Abend, als ich mit ihnen zur Nacht speiste? Mein Herr, ich werde verdammt werden! Und ich will sie vor Gottes Thron anklagen als den Urheber meiner Verdammnis. An jenem Abend büßte ich meine Sünde; aber sie waren das Werkzeug, durch das alle meine Eindrücke zerstreut wurden.“
Dies ist ein ernstes Beispiel., das uns lehrt, wie wir unsere Zunge im Zaum halten sollen, besonders die von uns, die so leichtfertig sind nach Anhörung ernster Predigten und Andachten. O, laßt uns auf der Hut sein, „daß wir nicht von der Welt seien, wie auch Christus nicht von der Welt war.“
Zuletzt, meine Brüder, laßt mich euch trösten mit dem Gedanken, ihr seid nicht von der Welt, eure Heimat ist im Himmel. Seid zufrieden, noch ein wenig auf Erden zu sein, denn ihr werdet bald euer herrliches Erbe sehen in der rechten Heimat. Ein Reisender geht in eine Herberge, die vielleicht sehr unbequem ist. „Gut,“ sagt er, „ich werde nicht viele Nächte hier übernachten; ich werde nur diese Nacht hier schlafen, morgen werde ich zu Hause sein, deshalb kümmere ich mich nicht viel darum, wenn auch mein Nachtquartier etwas unbequem ist.“ So, mein Christ, ist auch diese Welt nie sehr bequem und behaglich; aber bedenke, du bist nicht von der Welt. Diese Welt ist wie eine Herberge; du wohnst hier nur kurze Zeit. Laß dir die kleine Unbequemlichkeit gefallen, „denn du bist nicht von der Welt, wie auch Christus nicht von der Welt war“; in kurzer Zeit wirst du in deines Vaters Haus versammelt werden, und dort wirst du finden, daß ein neuer Himmel und eine neue Erde bereitet ist für die, die „nicht von der Welt sind.“ Amen.