Spurgeon, Charles Haddon – Fehler
Wer sich rühmt, daß er vollkommen sei, der ist ein vollkommener Narr. Ich habe mich schon ein gutes Stück in der Welt umgesehen, aber ich habe noch nie ein vollkommenes Pferd gesehen oder einen vollkommenen Menschen und werde es auch nie, solange nicht zwei Sonntage auf einen Tag fallen. Aus einem Kohlensack kann kein weißes Mehl kommen noch Vollkommenheit aus der menschlichen Natur; wer sie da sucht, könnte ebensogut Zucker im Meer suchen. Ein altes Sprichwort sagt: „Leblos, fehlerlos“; von den Toten sollen wir nichts als Gutes reden; was aber die Lebenden betrifft, so sind sie alle mehr oder weniger mit dem schwarzen Pinsel angestrichen, und das kann man schon mit halbem Auge sehen. – Wie es keinen Sonnenschein ohne irgendwelchen Schatten gibt, so ist alles menschlich Gute mit mehr oder weniger Übel vermischt. Die Fehler stehen zwar dem Menschen nicht immer an der Stirn geschrieben, und das ist auch ganz gut, denn sonst würden die Hüte sehr breite Krempen tragen müssen; aber so gewiß, wie ein Ei dem anderen ähnlich sieht, stecken Fehler irgend welcher Art in jedem Menschenherzen. Niemand kann sagen, wann die Sünden eines Menschen heraustreten werden, denn gerade, wenn man sie nicht erwartet, springen die Hasen aus dem Busche hervor. Ein Pferd, das schwach in den Beinen ist, mag vielleicht eine viertel oder eine halbe Meile lang nicht straucheln, aber das Fehltreten steckt doch in ihm drin, und der Reiter tut wohl daran, es gut aufrecht zu halten. Die große Katze leckt vielleicht jetzt keine Milch, lasse aber nur einmal die Tür zur Milchkammer offen, und wir wollen sehen, ob sie nicht eine ebensogroße Diebin ist wie die kleinen Kätzchen. Im Kieselstein ist Feuer, so kalt er sich auch anfühlt; warte, bis er einen Schlag vom Stahl erhält, und du wirst es sehen. Diese Sache ist für niemanden mehr ein Geheimnis, dennoch denkt aber nicht jeder daran, sein Pulver sorgfältig davor zu hüten, daß es nicht mit dem Feuer in Berührung komme.
Wenn wir immer daran denken würden, daß wir uns unter unvollkommenen Menschen in der Welt bewegen, so würden wir nicht in solche Fieberhitze geraten, wenn wir die Mängel eines unserer Freunde gewahr werden; was verfault ist, das zerreißt, und Töpfe, die einen Sprung haben, lassen das Wasser durch. Selig ist der, der nichts vom armen Fleisch und Blut erwartet, denn er wird niemals enttäuscht werden. Die besten Menschen und auch das beste Wachs schmilzt. ‚Ein gutes Pferd tritt niemals fehl, – Eine gute Frau macht nie Krakel.‘ Ja, aber solche Pferde und Frauen sind nur im Schlaraffenlande anzutreffen, wo die Klöße an den Bäumen wachsen. In dieser bösen Welt hat das geradeste Stück Bauholz seine Knoten und das reinste Weizenfeld seine Portion Unkraut. Der vorsichtigste Fuhrmann wirft einmal seine Karre um, die geschickteste Köchin verbrennt ihre Suppe, und ein ganz tüchtiger Pflüger, wie ich es aus trauriger Erfahrung weiß, zieht hier und da die Furche schief. Es ist töricht, einem erprobten Freund wegen ein paar Fehlern den Abschied zu geben, denn man mag einen einäugigen Gaul loswerden und einen blinden dafür kaufen. Da wir alle voller Fehler sind, so sollten wir lernen, uns gegenseitig zu tragen; da wir alle in Glashäusern wohnen, sollten wir nicht mit Steinen werfen. Jedermann lacht, wenn die Kasserolle zum Kessel sagt: Wie schwarz bist du! Die Unvollkommenheiten anderer Menschen zeigen uns unsere eigenen Unvollkommenheiten, denn ein Schaf ist so ziemlich wie das andere. Wir sollten unsere Nachbarn wie Spiegel gebrauchen, in denen wir unsere eigenen Fehler erkennen, und das in uns selbst verbessern, was wir an ihnen wahrnehmen.
Ich habe keine Geduld mit denjenigen, die ihre Nasen in jedermanns Haus stecken, um seine Fehler herauszuriechen, und die sich Vergrößerungsgläser vorhalten, um die Flecken ihrer Nachbarn herauszufinden; solche Leute sollten sich vielmehr zu Hause umsehen, sie mögen vielleicht den Teufel da finden, wo sie ihn am wenigsten erwartet haben. Was wir gerne sehen wollen, das werden wir immer sehen oder doch meinen zu sehen. Fehler sind immer dick, wo die Liebe dünn ist. Eine weiße Kuh ist total schwarz, wenn es deinem Auge beliebt, sie dafür anzusehen. Es würde ein viel angenehmeres Geschäft sein, wenn die Fehlerjäger ihre Hunde dazu anstellen wollten, die guten Seiten anderer Leute aufzuspüren; dies Spiel würde lohnender sein. Was unsere eigenen Fehler betrifft, so würden wir eine große Schiefertafel haben müssen, um sie darauf verzeichnen zu können; doch wissen wir ja, Gott sei Dank, wo wir sie hinbringen und wie wir mit ihnen fertig werden können. Bei allen unseren Fehlern liebt uns Gott immer noch, wenn wir nur gläubig auf Jesum vertrauen; so laßt uns denn nicht verzagt einhergehen, sondern hoffen, daß wir leben und lernen und auch, ehe wir sterben, einiges Gutes werden tun können. Wenn auch die Karre bisweilen knarrt, so wird sie doch mit ihrer Last nach Hause kommen, und das alte Pferd wird, obwohl es die Knie gebrochen hat, doch noch ein wahres Wunderwerk verrichten. Es nützt uns nichts, uns hinzulegen und nichts zu tun, weil wir nicht alles so tun könnten, wie wir es möchten. Fehlerhaft oder nicht fehlerhaft, das Pflügen muß nun einmal geschehen und zwar auch von unvollkommenen Menschen, sonst gibt es nächstes Jahr keine Ernte. Mag Hans auch noch so unvollkommen im Ackern sein, so tun doch die Engel die Arbeit nicht für ihn, und so macht er sich denn selber daran.